Verstoß einer Bestimmung des BildungsdokumentationsG 2020 gegen das Recht auf Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit; absolutes Verbot der Beantwortung von Auskunftsbegehren verhindert den Zugang zu Informationen für die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit insbesondere im Rahmen der Ausübung journalistischer Tätigkeit; angemessener, differenzierter und verhältnismäßiger Ausgleich zwischen Geheimhaltungsinteressen und den Anforderungen journalistischer Tätigkeit geboten
Verfassungswidrigkeit des §21 Abs5 BilDokG 2020, BGBl I 20/2021.
Der angefochtene §21 Abs5 BilDokG 2020 idF BGBl I 20/2021 wurde mit dem am 01.09.2025 in Kraft getretenen Art59 Informationsfreiheits-Anpassungsgesetz BGBl I 50/2025 novelliert. Art151 Abs68 B‑VG ordnet an, dass "[a]uf die am 1. September 2025 anhängigen Verfahren gemäß den Auskunftspflichtgesetzen des Bundes und der Länder […] Art20 Abs3 und 4 in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung, die auf Grund des Art20 Abs4 erlassenen Gesetze und die auf deren Grundlage erlassenen Verordnungen weiter anzuwenden [sind]." Daraus folgt, dass im Anlassverfahren denkmöglich davon ausgegangen werden kann, dass die einschlägigen Bestimmungen des Auskunftspflichtgesetzes sowie das in §21 Abs5 BildokG 2020 vorgesehene Verbot zur Auskunftserteilung weiterhin anwendbar sind.
Nach der Rsp des EGMR gewährleistet Art10 Abs1 EMRK unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Zugang zu Informationen. Dies ist dann der Fall, wenn die Offenlegung der Informationen von einem Gericht rechtskräftig angeordnet wurde. Ein solches Recht besteht ferner dann, wenn der Zugang zu Informationen für die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit, insbesondere der Freiheit des Erhalts und der Weitergabe von Informationen, maßgeblich ist. Für den Bestand und die Reichweite dieses Rechts ist insbesondere von Bedeutung, ob das Sammeln der Informationen ein relevanter Vorbereitungsschritt für journalistische oder andere Aktivitäten ist, ob die Offenlegung der begehrten Informationen im öffentlichen Interesse notwendig sein kann – insbesondere weil sie für Transparenz über die Art und Weise der Führung von Amtsgeschäften und über Angelegenheiten, die für die Gesellschaft als Ganzes interessant sind, sorgt –, ob der Grundrechtsträger als Journalist oder Nichtregierungsorganisation oder in einer anderen Funktion als "public watchdog" oder "social watchdog" im öffentlichen Interesse tätig wird und schließlich ob die begehrte Information bereit und verfügbar ist und daher kein weiteres Sammeln von Daten notwendig ist.
Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rsp notwendig sind.
Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der EGMR ausgesprochen hat, gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein.
§21 Abs5 BilDokG 2020 greift in Art10 Abs1 EMRK ein, weil die Anordnung, dass eine Auskunft auf Grund eines Verbotes wie in §21 Abs5 BilDokG 2020 nicht zu erteilen ist, auch auf Fälle zur Anwendung kommt, in denen nach Art10 Abs1 EMRK ein Recht auf Zugang zu Informationen besteht.
§21 Abs5 BilDokG 2020 verfolgt insbesondere das Ziel, dem öffentlichen Interesse der Gewährleistung eines unbeeinträchtigten und ordnungsgemäßen Schulablaufes am Standort der Schule bestmöglich Rechnung zu tragen. Zudem sollen nachteilige Folgen für einzelne Schulstandorte verhindert sowie betreffend kleinere Schulstandorte ein ausreichender Datenschutz sichergestellt werden.
Sowohl aus der Formulierung des §21 Abs5 BilDokG 2020 als auch aus den Materialien ergibt sich aber, dass diese Bestimmung im Hinblick auf Auskunftsbegehren, die schulstandortbezogene Daten – auch in aggregierter Form – betreffen und sich an Personen richten, die personenbezogene Daten gemäß Art4 Z1 DSGVO verarbeiten, ein absolutes Verbot vorsieht. Davon können auch Daten erfasst sein, die keinen Rückschluss auf natürliche Personen zulassen oder die überhaupt keinen Bezug zu Personen aufweisen. Das in §21 Abs5 BilDokG 2020 enthaltene Verbot kann sohin auch Auskunftsbegehren umfassen, bei denen die von der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme angeführten Rechtfertigungsgründe nicht durchschlagen.
Durch dieses absolute Verbot der Beantwortung von Auskunftsbegehren – das auch den Bundesminister für Bildung und die Bildungsdirektionen umfasst – widerspricht der Gesetzgeber dem Erfordernis nach Art10 Abs2 EMRK, dass eine Abwägung der jeweiligen Interessen vorzunehmen ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Medien in einer demokratischen Gesellschaft als "public watchdog" eine zentrale Rolle im öffentlichen Interesse wahrnehmen, gebietet daher das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, dass der Gesetzgeber das Recht auf Zugang zu Informationen im Rahmen der Ausübung journalistischer Tätigkeit berücksichtigt. Ein derart weitgehendes Auskunftsverbot, wie es §21 Abs5 BilDokG 2020 festlegt, wäre nämlich geeignet, journalistische Tätigkeit in unverhältnismäßiger Weise zu behindern oder sogar auszuschließen. Der Gesetzgeber ist gehalten, einen angemessenen, differenzierten Ausgleich zwischen Geheimhaltungsinteressen auch gegenüber Medien und den durch Art10 EMRK geschützten Anforderungen journalistischer Tätigkeit vorzusehen. Anders als bei sonstigen Auskunftsbegehren nach dem Auskunftspflichtgesetz ist eine Interessenabwägung zwischen gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten und Auskunftsinteressen im Rahmen des §21 Abs5 BilDokG 2020 im Einzelfall nicht möglich.
Eine solche Interessenabwägung müsste §21 Abs5 BilDokG 2020 aber auch deshalb ermöglichen, weil es auch Konstellationen geben kann, in denen der Zugang zu nicht individualisierbaren schulstandortbezogenen Daten im Lichte des Art10 EMRK zulässigerweise beschränkt werden darf. Schon aus diesem Grund erweist sich §21 Abs5 BilDokG 2020 als unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit gemäß Art10 Abs1 EMRK. §21 Abs5 BilDokG 2020 ist mit 01.09.2025 außer Kraft getreten, sodass sich der VfGH auf die Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit zu beschränken hat.
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