UA1/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Abweisung der Anfechtung des Beschlusses des Geschäftsordnungsausschusses, mit dem das Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses "betreffend Klärung politischer Einflussnahme von ÖVP-Regierungsmitgliedern (ÖVP-Machtmissbrauchs-Untersuchungsausschuss)" für gänzlich unzulässig erklärt wird; Unzulässigkeit der Sammlung nicht direkt zusammenhängender Themenbereiche; kein offenkundiger und inhaltlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Themenbereichen und dem zu untersuchenden Vorgang
Keine Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Geschäftsordnungsausschusses des Nationalrates gemäß § 3 Abs 2 VO-UA vom 10.07.2025; Abweisung eines Antrags gem Art138b Abs1 Z1 B-VG.
Das Verlangen (Untersuchung der Ermittlungen zum Tod eines Beamten, Vorgehen der Behörden bei Versammlungen gegen COVID-19-Maßnahmen sowie staatliche Maßnahmen gegenüber "regierungs- und maßnahmenkritischen Bürger") hat sich auf einen – den Anforderungen des Art53 Abs2 B‑VG entsprechenden – Vorgang zu beziehen:
Soweit Art53 Abs2 B‑VG vorsieht, dass Gegenstand der Untersuchung ein "bestimmter […] Vorgang" zu sein hat, erläutern die Materialien diesen Begriff als "bestimmbare[n] und abgrenzbare[n] Vorgang" in der Vollziehung des Bundes. Die Untersuchung könne – so die Materialien weiter – "mithin nur inhaltlich zusammenhängende Sachverhalte" betreffen. Das Wort "ein" werde als "unbestimmter Artikel und nicht als Zahlwort verwendet". Die "Forderung eines inhaltlichen, personellen oder zeitlichen Zusammenhangs" schließe aus, "dass mehrere, unterschiedliche Vorgänge oder Themen in einem Untersuchungsausschuss untersucht werden, die nur lose miteinander verknüpft sind, etwa weil es sich um Vorgänge innerhalb des Zuständigkeitsbereiches eines Bundesministeriums" handle. "Die Bestimmbarkeit und Abgrenzbarkeit eines Vorgangs" würden nicht ausschließen, "dass Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsauftrag eine Untergliederung in einzelne Abschnitte bzw Beweisthemen aufweisen, zumal ein Vollzugsakt auch in einzelne Phasen zerlegt werden" könne.
Dazu sieht §1 Abs5 VO-UA vor, dass eine inhaltliche Gliederung des Gegenstandes der Untersuchung nach Beweisthemen zulässig, eine Sammlung nicht direkt zusammenhängender Themenbereiche hingegen unzulässig ist.
Der Verfassungsgesetzgeber hatte bei der Beschlussfassung über Art53 Abs2 B‑VG und insbesondere über die Verwendung des Begriffes "bestimmter […] Vorgang" vor Augen, keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit des Gegenstandes der Untersuchung zu stellen. Der den Bestimmungen des Art52b B‑VG und des §99 Abs2 GOG‑NR gemeinsame Begriff des "bestimmten Vorganges" bewirkt in dem dort relevanten Zusammenhang der Gebarungsüberprüfung eine sachliche Einschränkung der jeweils von der Minderheit verlangten Prüfung in dem Sinne, dass der zu untersuchende Vorgang – der Prüfungsgegenstand – konkret, abgegrenzt und im Prüfungsauftrag hinreichend konkretisiert sein muss. Schon das Verlangen der Minderheit hat das Vorliegen der verfassungsrechtlich geforderten Voraussetzungen nachvollziehbar darzulegen. Die Pflicht zur nachvollziehbaren Begründung der Überprüfung des Minderheitsverlangens durch den Geschäftsordnungsausschuss (bereits) im parlamentarischen Verfahren leitet der VfGH aus Art138b Abs1 B‑VG iVm Art53 B‑VG ab (vgl VfSlg 20.370/2020).
Prüfungsgegenstand nach Art138b Abs1 Z1 B‑VG ist nicht das Verlangen, sondern der Beschluss des Geschäftsordnungsausschusses des Nationalrates, mit dem ein Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, für ganz oder teilweise unzulässig erklärt wird.
Verpflichtung des Geschäftsordnungsausschusses zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Verlangens:
Dem Geschäftsordnungsausschuss obliegt bei seiner Prüfung nach §3 Abs2 VO-UA nicht die Kontrolle der Zweckmäßigkeit des Verlangens bzw des Untersuchungsgegenstandes; vielmehr ist allein die Verfassungsmäßigkeit des Verlangens gemäß Art53 Abs2 B-VG zu überprüfen. Gemäß §3 Abs2 VO-UA hat der Geschäftsordnungsausschuss, wenn er ein Verlangen nach §1 Abs2 VO-UA als (teilweise) unzulässig erachtet, die einzelnen Teile des Verlangens genau zu bezeichnen und die (teilweise) Unzulässigkeit des Verlangens zu begründen. Dies dient unter anderem der Abgrenzung des Gegenstandes eines möglichen Verfahrens nach Art138b Abs1 Z1 B‑VG. Der VfGH prüft die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Geschäftsordnungsausschusses im Umfang der und im Hinblick auf die seitens des Geschäftsordnungsausschusses ins Treffen geführten und seitens der Anfechtungswerber bestrittenen Gründe.
Bereits in VfSlg 20.370/2020 wurde ausgeführt, dass die Wahl des Anliegens allein der politischen Wertung von Abgeordneten des Nationalrates anheimgestellt ist, einer Einsetzungsminderheit das Recht zusteht, das zu untersuchende Thema frei zu bestimmen, und keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen sind. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht der Geschäftsordnungsausschuss zutreffend davon aus, dass zwischen den einzelnen in den Beweisthemen genannten Bereichen und mit dem zu untersuchenden Vorgang kein offenkundiger Zusammenhang besteht und das vorliegende Verlangen auch aus anderen Gründen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art53 Abs2 B‑VG entspricht:
Soweit der Geschäftsordnungsausschuss ausführt, dass das Arbeitsprogramm für den Untersuchungsausschuss nicht ausreichend klar umrissen sei (es bleibe unklar, inwiefern sich der behauptete Missstand lediglich auf die in den angeführten Beweisthemen genannten Bereiche beschränke bzw gerade in diesen besonders zum Vorschein trete), ist damit für den VfGH in nachvollziehbarer Weise dargetan, dass die Untersuchung nicht auf einen bestimmbaren Vorgang beschränkt ist: Der vorliegende Untersuchungsgegenstand bezieht sich vielmehr auf die gesamte Aufgabenerfüllung bestimmter genannter Bundesministerien und der ihnen unterstehenden Behörden. Die Beifügung der Wortfolge "Verdacht der unsachlichen oder rein parteipolitisch motivierten Einflussnahme" vermag keine inhaltliche Konkretisierung herbeizuführen. Auch die Ausführungen in der Begründung des Verlangens, nach denen die gemeinsame Klammer in der – mutmaßlich korruptiv motivierten – "systematischen Unterdrückung von (interner oder externer) Kritik an Regierungshandeln" liege, sind nicht geeignet, einen ausreichend konkreten Vorgang zu umschreiben.
Im Beschluss des Geschäftsordnungsausschusses wird auch zutreffend festgehalten, dass durch die Verwendung unbestimmter Begriffe und Formulierungen im Untersuchungsgegenstand und in den Beweisthemen (etwa "mit der ÖVP verbundene natürliche oder juristische Personen", "unabhängig[e] Medien", nicht abschließende Aufzählungen durch Einfügung der Worte "verschiedener […] insbesondere") in weiterer Folge keine – in rechtsstaatlicher Hinsicht – nachvollziehbare Abgrenzung der Kompetenzen des Untersuchungsausschusses erfolgen kann: Für die Bestimmtheit maßgebend ist die Eignung der verwendeten Begriffe, den Untersuchungsgegenstand in einer Weise zu umschreiben, dass sich jedenfalls anhand einer Auslegung ein eindeutiges Ergebnis gewinnen lässt. Die Bezugnahme auf einen Personenkreis, der letztlich nicht klar fassbar ist, führt im vorliegenden Fall angesichts des Fehlens einer entsprechenden Konkretisierung im Verlangen dazu, dass der Untersuchungsgegenstand nicht abgrenzbar wird.
Die im Verlangen angeführten drei Beweisthemen (Ermittlungen zum Tod von Mag. Pilnacek, Vorgehen der Behörden bei Versammlungen gegen COVID-19-Maßnahmen und staatliche Maßnahmen gegenüber "regierungs- und maßnahmenkritischen Bürger") erfassen unterschiedliche Sachverhaltsbereiche, die keinen Zusammenhang mit dem zu untersuchenden Vorgang aufweisen und auch in keinem inhaltlichen Zusammenhang zueinanderstehen:
Die Anfechtungswerber weisen zwar zu Recht darauf hin, dass eine inhaltliche Gliederung des Gegenstandes der Untersuchung nach Beweisthemen gemäß §1 Abs5 VO-UA zulässig ist; gleichwohl verbietet diese gesetzliche Regelung aber eine Sammlung nicht direkt zusammenhängender Themenbereiche. Die drei Themenbereiche sind nicht als drei Beweisthemen zu einem bestimmten Vorgang zu werten, sondern weisen lediglich eine lose Verknüpfung zueinander und zum Untersuchungsgegenstand auf, die bloß auf organisatorischen Elementen gründet. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die einschreitenden Abgeordneten in ihrer Anfechtung selbst darauf hinweisen, dass die drei Beweisthemen "jeweils einen abgeschlossenen Vorgang aus dem Bereich der Bundesvollziehung [formulieren], der hinreichend bestimmt ist".
Die Untersuchung der vorliegenden verschiedenen Themenbereiche kommt jenem Gegenstand nahe, den der Verfassungsgesetzgeber in seinen Erläuterungen als unzulässig angesehen hat. Zieht man hingegen jenen Untersuchungsgegenstand zum Vergleich heran, der in den Erläuterungen als zulässig qualifiziert wird, so ist festzustellen, dass sich der vorliegende Untersuchungsgegenstand in seinem Konkretisierungsgrad wesentlich davon unterscheidet.
Soweit die einschreitenden Abgeordneten vorbringen, dass der "Untersuchungsgegenstand" aus einer einleitenden Umschreibung und einer präzisierenden Aufgliederung in drei "Beweisthemen" bestehe und diese "Beweisthemen" als formeller Bestandteil des Untersuchungsgegenstandes bei Prüfung seiner Zulässigkeit zu berücksichtigen seien, weshalb die dem Beschluss zugrunde liegenden rechtlichen Erwägungen des Geschäftsordnungsausschusses ins Leere liefen, verkennen sie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Untersuchungsgegenstand:
Die Anfechtungswerber gehen zwar zutreffend davon aus, dass dem Verlangen in seiner Gesamtheit Bedeutung zukommt. In VfSlg 20.370/2020 wurde festgehalten, dass sich "aus dem Verlangen die ausreichende Bestimmtheit und der erforderliche Zusammenhang zu ergeben" haben. Dies setzt jedoch voraus, dass schon aus dem Text der Umschreibung des Untersuchungsgegenstandes ein bestimmter Vorgang hervorgeht; ein Untersuchungsgegenstand, der sich auf einen bestimmten Vorgang bezieht, kann in der Begründung des Verlangens weiter bestimmt und konkretisiert werden. Enthält der Untersuchungsgegenstand als solcher aber keinen ausreichend konkret bestimmbaren und abgrenzbaren Vorgang im Sinne des Art53 Abs2 B‑VG, könnten auch konkret genannte Beweisthemen nicht zur Verfassungskonformität eines Untersuchungsgegenstandes führen.
Dieses Ergebnis wird auch dadurch gestützt, dass nach dem (verfassungs‑)gesetzlich geregelten System des Untersuchungsausschussverfahrens die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses – wie auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung ausführt – streng an den Untersuchungsgegenstand gebunden ist. So verpflichtet etwa Art53 Abs3 B‑VG alle Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sowie der sonstigen Selbstverwaltungskörper, einem Untersuchungsausschuss auf Verlangen ihre Akten und Unterlagen im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung vorzulegen. Der Untersuchungsgegenstand bestimmt zB auch die Beweisaufnahmen, Beweismittel, den grundsätzlichen Beweisbeschluss, ergänzende Beweisanforderungen und die Ladung von Auskunftspersonen.