G259/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Abweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des SchulunterrichtsG betreffend das Zustimmungsrecht des Schulerhalters bei Bewilligung eines freiwilligen 11. und 12. Schuljahres für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Determinierungsgebot; Zustimmungserfordernis dient der Sicherstellung der Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung des Schulerhalters hinsichtlich der Erhaltung und Zurverfügungstellung von etwa Schulgebäuden und -liegenschaften, Personal, Verpflegung, Einrichtung und Lehrmittel; Möglichkeit der Versagung eines Schulbesuchs ausschließlich im Fall (der Gefahr) der Nichterfüllung der Verpflichtungen durch den Schulerhalter; Pflicht der Bildungsdirektion (als Schulbehörde) zur bescheidmäßigen Darlegung der Gründe der Versagung des Schulbesuchs; Rechtsmittel eröffnet Durchsetzung des Schulbesuchs auch ohne Zustimmung des Schulerhalters
Der Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "mit Zustimmung des Schulerhalters und" in §32 Abs2 SchUG idF BGBl I 101/2018 wird abgewiesen.
Nach Art6 BVG über die Rechte von Kindern hat jedes Kind mit Behinderung Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die seinen besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen. Im Sinne des Art7 Abs1 B‑VG ist die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Kindern in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.
Gemäß §18 Abs1 SchulpflichtG 1985 sind Schüler der Volksschuloberstufe und der Mittelschule, die im 8. Jahr der allgemeinen Schulpflicht eine oder mehrere Stufen der besuchten Schule nicht erfolgreich abgeschlossen haben, berechtigt, im 9. und in einem freiwilligen 10. Schuljahr die besuchte Schule weiter zu besuchen oder die Polytechnische Schule zu besuchen. Gleiches gilt für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die gemäß §8a Abs1 SchulpflichtG 1985 eine allgemeine Pflichtschule besuchen.
Damit korrespondierend sieht §32 Abs1 SchUG für alle Schüler vor, dass der Besuch einer allgemeinbildenden Pflichtschule längstens bis zum Ende des Unterrichtsjahres des auf die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht folgenden Schuljahres zulässig ist, soweit in den darauffolgenden Absätzen nicht anderes bestimmt ist. Nach §32 Abs2 SchUG sind Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit Zustimmung des Schulerhalters und Bewilligung durch die Schulbehörde berechtigt, eine Sonderschule oder allgemeine Schule zwei Jahre über den im Abs1 genannten Zeitraum hinaus zu besuchen.
§32 Abs2a SchUG sieht vor, dass Schüler, die während der Schulpflicht oder nach Weiterbesuch der Schule in einem freiwilligen zehnten Schuljahr gemäß §18 Abs1 Schulpflichtgesetz 1985 die 4. Klasse der Mittelschule oder die Polytechnische Schule nicht erfolgreich abgeschlossen haben, in einem freiwilligen zehnten bzw elften Schuljahr die Mittelschule oder die Polytechnische Schule mit Zustimmung des Schulerhalters und mit Bewilligung der zuständigen Schulbehörde besuchen dürfen, sofern sie zu Beginn des betreffenden Schuljahres das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
In beiden Fällen ist der weitere Besuch einer allgemeinbildenden Pflichtschule nur mit Zustimmung des Schulerhalters und Bewilligung der zuständigen Schulbehörde möglich. Das in §32 Abs2 SchUG vorgesehene Zustimmungserfordernis des Schulerhalters bewirkt schon deshalb keine Ungleichbehandlung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gegenüber Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf.
Kein Verstoß der in §32 Abs2 SchUG vorgesehenen Zustimmung des Schulerhalters gegen das allgemeine Sachlichkeitsgebot:
Gemäß §1 Abs2 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG obliegt es dem Schulerhalter, für die Errichtung, Erhaltung und Auflassung der öffentlichen Pflichtschulen zu sorgen. Er hat gemäß §8 Abs1 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG für die entsprechenden Kosten aufzukommen.
Die Pflicht zur Erhaltung einer Schule umfasst gemäß §10 Pflichtschulerhaltungs‑GrundsatzG etwa die Bereitstellung und Instandhaltung des Schulgebäudes und der übrigen Schulliegenschaften, die Anschaffung und Instandhaltung der Einrichtung und Lehrmittel sowie die Beistellung des zur Betreuung des Schulgebäudes und der übrigen Schulliegenschaften erforderlichen Personals, bei ganztägigen Schulformen auch die Vorsorge für die Verpflegung. Der Schulerhalter hat gemäß §7 Pflichtschulerhaltungs‑GrundsatzG eine der Anzahl der Klassen entsprechende Zahl von Unterrichts- und Nebenräumen einzurichten und sicherzustellen, dass jede Schule in ihrer baulichen Gestaltung und in ihrer Einrichtung den Grundsätzen der Pädagogik und der Schulhygiene entspricht und jene Lehrmittel aufweist, die im Lehrplan für die betreffende Schulart vorgesehen sind. Ferner ist gemäß §10 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG für die Beistellung von Schulärztinnen und Schulärzten sowie an ganztägigen Schulformen für die Beistellung des für den Betreuungsteil erforderlichen Personals in einer Weise vorzusorgen, dass die ihnen auf Grund schulrechtlicher Vorschriften obliegenden Aufgaben durchgeführt werden können.
Mit dem in §32 Abs2 SchUG vorgesehenen Zustimmungserfordernis des Schulerhalters soll im Verfahren über die Bewilligung des weiteren Schulbesuchs vor der zuständigen Schulbehörde sichergestellt werden, dass der Schulerhalter seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen kann. Die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen des Schulerhalters liegt dabei im Interesse aller Schüler, die die Schule besuchen oder (weiter-)besuchen möchten, für deren Erhaltung der Schulerhalter zuständig ist.
Der Schulerhalter ist im Rahmen der ihm zukommenden Aufgaben grundsätzlich verpflichtet, Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf den in §32 Abs2 SchUG gesetzlich vorgesehenen Besuch der allgemeinbildenden Pflichtschule in einem 11. und 12. Schuljahr zu ermöglichen. Er hat dabei – wie die Schulbehörde – vor dem Hintergrund des Art6 BVG über die Rechte von Kindern zu gewährleisten, dass den besonderen Bedürfnissen der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf Rechnung getragen wird. Die Zustimmung zum weiteren Schulbesuch gemäß §32 Abs2 SchUG darf daher nur versagt werden, wenn im Einzelfall nachgewiesen ist, dass es dem Schulerhalter auf Grund der ihm sonst obliegenden Aufgaben nicht möglich sein wird, seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nachzukommen. Mit dem Zustimmungserfordernis des Schulerhalters soll sichergestellt werden, dass an der Schule die nötigen Räumlichkeiten und Ressourcen sowie das Personal zur Verfügung gestellt werden können, um den pädagogischen und organisatorischen Erfordernissen für einen qualitätsvollen Unterricht und eine entsprechende Betreuung für Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gerecht zu werden. Der Schulerhalter hat im Falle der Verweigerung der Zustimmung darzulegen, weshalb diese Erfordernisse nicht erfüllt werden können, und seine Entscheidung nachvollziehbar zu begründen. Es mag zutreffen, dass finanzielle und organisatorische Überlegungen in die Entscheidung einfließen, ein bloßer Hinweis, dass die Zustimmung aus Platzgründen nicht möglich sei, genügt aber jedenfalls nicht. Vielmehr muss anhand der Begründung der Zustimmungsverweigerung nachvollziehbar bzw überprüfbar sein, ob die Zustimmung gemäß §32 Abs2 SchUG rechtmäßig verweigert wurde. Der VfGH teilt daher die vom BVwG vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht.
Hinreichende Bestimmtheit iSd Art18 Abs1 B‑VG:
Gegen das in §32 Abs2 SchUG vorgesehene Zustimmungserfordernis des Schulerhalters bestehen keine Bedenken im Hinblick auf das Determinierungsgebot. §32 Abs2 SchUG sieht zum einen die Zustimmung des Schulerhalters und zum anderen die Bewilligung durch die Schulbehörde als Voraussetzungen für die Berechtigung zum weiteren Besuch einer allgemeinbildenden Pflichtschule vor. Zweck des Zustimmungserfordernisses des Schulerhalters ist es, im Bewilligungsverfahren vor der Schulbehörde sicherzustellen, dass es dem Schulerhalter möglich sein wird, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen und die entsprechenden Ressourcen für den weiteren Schulbesuch der antragstellenden Schüler zur Verfügung zu stellen. Aus dem Zweck des Zustimmungserfordernisses und der Regelungssystematik folgt, dass der Schulerhalter bei seiner Entscheidung über die Zustimmung zum weiteren Besuch der allgemeinbildenden Pflichtschule nur jene Kriterien heranziehen darf, die sich aus seinen Aufgaben hinsichtlich der Errichtung, Erhaltung und Auflassung öffentlicher Pflichtschulen ergeben. Im Falle der Verweigerung der Zustimmung sind die Gründe des Schulerhalters in den Bescheid der Schulbehörde aufzunehmen. Die Verweigerung der Zustimmung kann so in der Folge im Rechtsmittelweg überprüft und der Schulbesuch gegebenenfalls vom Verwaltungsgericht auch ohne Zustimmung des Schulerhalters bewilligt werden.