G3502/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Abweisung eines Eventualantrags des BVwG auf Aufhebung des §16 VwGVG idF BGBl I 109/2021. Im Übrigen: Zurückweisung der Anträge wegen zu engen Anfechtungsumfangs. §16 Abs1 und Abs2 VwGVG stehen in einem untrennbaren Zusammenhang: Aus §16 Abs1 VwGVG ergibt sich, dass die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten nach Erhebung einer Säumnisbeschwerde gemäß Art130 Abs1 Z3 B-VG - weiterhin - den Bescheid erlassen kann. Würde nur dieser erste Absatz des §16 VwGVG durch den VfGH beseitigt, ergäbe sich aus §16 Abs2 VwGVG, dass die Behörde den Bescheid ohne jegliche Frist nachholen könnte.
Die sachliche Zuständigkeit einer Behörde muss im Gesetz selbst festgelegt sein. Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG verpflichtet den Gesetzgeber zu einer - strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden - präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit. Im Interesse der Rechtsschutz suchenden Bevölkerung sind Regelungstechniken, die besondere Unsicherheit in der Frage nach der zuständigen Behörde entstehen lassen, verfassungsgesetzlich verpönt.
Eine etwaige unterschiedliche Auslegung einer Zuständigkeitsbestimmung in Entscheidungen des VwGH bedeutet nicht, dass diese Rechtsvorschrift in Widerspruch zum Bestimmtheitsgebot des Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG steht: Zunächst kann dahinstehen, ob die beiden vom BVwG angeführten Erkenntnisse des VwGH (VwGH 19.9.2017, Ro 2017/20/0001; 20.12.2017, Ro 2017/03/0019) in einem Widerspruch zueinander stehen. Selbst wenn in den beiden Erkenntnissen die angefochtene Regelung des §16 VwGVG unterschiedlich ausgelegt würde, könnte daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass §16 VwGVG zu unbestimmt ist und gegen Art18 iVm Art83 Abs2 B-VG verstößt. Das Gesetz muss klare Kriterien vorgeben, anhand derer sich die Zuständigkeit für den Gesetzesvollzug verteilen lässt.
§16 VwGVG eröffnet der säumigen Behörde die Möglichkeit, ihre an sich gegebene Pflicht, die Verwaltungsangelegenheit ohne unnötigen Aufschub zu erledigen, innerhalb einer Nachfrist von drei Monaten zu erfüllen. Damit ist in §16 VwGVG eine zeitlich befristete Zuständigkeit der säumigen Behörde bzw ein Zuständigkeitsübergang an das Verwaltungsgericht angelegt. Die Zuständigkeit wird - entsprechend den Vorgaben des Art18 B-VG iVm Art83 Abs2 B-VG - durch §16 VwGVG definiert. Überschneidungen der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche sieht §16 VwGVG nicht vor.