E345/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Gemäß §10 Abs3 erster Satz BFA-VG sind mündige Minderjährige (vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr), deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, berechtigt, selbst einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und einzubringen sowie Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu setzen. §10 Abs3 dritter Satz BFA-VG bestimmt, dass der Rechtsberater ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem BFA und dem BVwG ist. Nach Zulassung und Zuweisung an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes soll die Vertretung an den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger übergehen.
Zu § 25 Abs. 2 des AsylG 1997, der Vorgängerbestimmung des §10 Abs3 dritter Satz BFA-VG, wurde in VfSlg 17.495/2005 festgestellt, dass der gesetzliche Vertreter eines mündigen Minderjährigen, dessen Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können (unbegleitete Minderjährige), ab Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater ist. Seine Vertretungsbefugnis endet sobald das Zulassungsverfahren zu Ende ist und der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Solange eines der beiden Kriterien nicht erfüllt ist, ist der Rechtsberater weiterhin der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen. Dem Gesetzgeber ist nicht zusinnbar, zwischen Beendigung des Zulassungsverfahrens und Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung eine zeitliche Lücke zu schaffen, in der der Minderjährige ohne gesetzliche Vertretung ist, sodass nicht gewährleistet ist, dass für den minderjährigen Asylwerber rechtzeitig Berufung erhoben werden kann.
Gemäß der Rsp des VwGH fallen die Voraussetzungen des §10 Abs3 erster Satz BFA-VG erst weg, wenn mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluss eine geeignete Person oder - wenn eine solche geeignete Person nicht zu finden sei - der Jugendwohlfahrtsträger mit der Obsorge betraut werde, weil sodann keine Vertretungsvakanz mehr vorliege und der nun betraute Obsorgeträger als gesetzlicher Vertreter die Interessen des Minderjährigen wahrnehmen könne.
Aus den beigeschafften Akten geht nicht hervor, dass der unbegleitete minderjährige Antragsteller bereits einer Betreuungsstelle eines Bundeslandes zugewiesen worden und seine Vertretung mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluss an den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger übergegangen ist. Daher erstreckt sich die gesetzliche Vertretung des minderjährigen Antragstellers durch die BBU GmbH im vorliegenden Fall in sinngemäßer Anwendung des §10 Abs3 dritter Satz BFA-VG iVm §1 ZPO und §35 VfGG auf das Verfahren vor dem VfGH. Die Anwaltspflicht gemäß §17 Abs2 VfGG wird hievon nicht berührt.
Keine Anhaltspunkte, dass die Entscheidung auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruht oder dass bei der Gesetzeshandhabung ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre. Eine Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Beschwerde an den VfGH erscheint somit als offenbar aussichtslos, zumal bei der gegebenen Lage sogar die Ablehnung der Beschwerdebehandlung zu gewärtigen wäre.