JudikaturVfGH

E1435/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
30. November 2023

Die Rechtsfolge von §7 Abs1 der Weiterbildungsverordnung Opioid-Substitution ist die Streichung von der Liste der zur Substitutionsbehandlung berechtigten Ärzte, wenn der Arzt ärztlichen Berufspflichten nicht nachkommt oder sonst gröblich oder (wie im vorliegenden Fall: Dokumentationsvorschriften der §§23a ff Suchtgiftverordnung nicht ausreichend erfüllt, weil die in den Leitlinien zur Durchführung der Substitutionsbehandlung angeführten Tages-Dosismengen überschritten worden seien ohne Gründe, zur Beurteilung des Dosisbedarfes darzulegen sowie Abweichung vom regulären Abgabemodus iSd §32e Suchtgiftverordnung ohne der geforderten Stabilität der Patienten) wiederholt gegen diese Berufspflichten verstoßen hat; diese Rechtsfolge stellt einen Eingriff in die Erwerbsfreiheit dar.

Gemäß §23c der Suchtgiftverordnung hat der Arzt das Überschreiten der gemäß §23a Abs3 Z1 leg cit festgelegten Dosismenge, wenn er dies aus fachlichen Gründen bei der Behandlung eines Patienten im Einzelfall für erforderlich hält, unter Anführung der Gründe, die ihn zur Beurteilung des Dosisbedarfs bewogen haben, nachvollziehbar zu dokumentieren und dem Amtsarzt nach Aufforderung darüber Auskunft zu erteilen, auf Verlangen auch schriftlich. §23e Abs2 leg cit sieht eine Verpflichtung zur nachvollziehbaren Dokumentation vor, wenn die täglich kontrollierte Einnahme dem Patienten auf Grund besonders berücksichtigungswürdiger Gründe zur Sicherstellung der Behandlungskontinuität nicht möglich oder nicht zugemutet werden kann.

Mit dem 2. COVID-19 Gesetz, BGBl I 16/2020 wurden coronapandemiebedingte Änderungen (auch) im Suchmittelgesetz, ua §8a Abs1c und §10 Abs3 SMG, eingefügt. Nach diesen Bestimmungen gelten Substitutions-Dauerverschreibungen als vidiert, wenn der substituierende Arzt den Vermerk "Vidierung nicht erforderlich" auf der Dauerverschreibung anbringt. Der Vermerk ist von dem substituierenden Arzt zu unterfertigen und mit der Stampiglie des Arztes zu versehen. Voraussetzung ist, dass dem behandelnden Arzt keine Hinweise auf eine Mehrfachbehandlung des Patienten mit Substitutionsmitteln vorliegen.

Für Wien wurde dazu gemeinsam mit der Ärztekammer, der Apothekerkammer und dem Gesundheitsdienst der Stadt Wien (MA 15) ein abgestimmter Prozess entwickelt, wie von allen Beteiligten während der Coronapandemie vorzugehen ist.

Die Geltungsdauer von §8a Abs1c und §10 Abs3 SMG idF BGBl I 16/2020 war zunächst bis zum 31.12.2020 begrenzt, wurde jedoch stets weiterverlängert, bis diese mit 30.06.2023 endgültig außer Kraft getreten sind.

Hinreichende Bestimmtheit der in §§23c und 23e Abs2 SuchtgiftV geregelten "nachvollziehbaren Dokumentation"; keine Verfassungswidrigkeit der Verordnungsermächtigung des §10 Abs1 Z5 SMG im Hinblick auf die Dokumentationspflicht:

Die medizinische Dokumentationspflicht für Ärzte ist ein wesentlicher Bestandteil im Ärzterecht und auch im ÄrzteG ausdrücklich geregelt. Die - einer fachgerechten Behandlung sowie auch der Beweissicherung dienende - ärztliche bzw medizinische Dokumentationspflicht ist Teil der ärztlichen Berufspflicht. Jene Bestimmungen, die die Abklärung der Indikation, den Beginn und die weitere Durchführung der Substitutionsbehandlung regeln, was auf die §§23a ff Suchtgiftverordnung zutrifft, und deren Verletzung nach der Rsp des VwGH als Verstoß gegen Berufspflichten qualifiziert wird, enthalten derartige Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten. Vom Verordnungsgeber wird davon ausgegangen, dass diese Verpflichtungen als "Begleitmaßnahme" einer erfolgreichen Substitutionstherapie unabdingbar seien. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Verordnungsermächtigung in §10 Abs1 Z5 SMG die in §§23c und 23e Abs2 Suchtgiftverordnung verankerte Dokumentationspflicht nicht trage, geht ins Leere, ist doch die die Dokumentationspflicht normierende Regelung nicht isoliert zu lesen, sondern in einer Zusammenschau mit weiteren gesetzlichen Regelungen sowie der Suchtgiftverordnung zu interpretieren.

Mit Blick darauf und unter Bedachtnahme darauf, dass eine nachvollziehbare Dokumentation der Verschreibung von Substitutionsmedikamenten auch im Interesse der Abwehr von Gefahren für den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung liegt, kann im hier gegebenen Zusammenhang eine nähere Auseinandersetzung mit der Rechtsqualität der mehrfach im Verfahren genannten Leitlinien des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz unterbleiben, selbst wenn diese als weitere Auslegungshilfe zur Auslegung des Begriffes "verpflichtende Dokumentation" nutzbar sein könnten.

Gesamthaft betrachtet ist der Begriff der "nachvollziehbaren Dokumentation" daher einer Auslegung zugänglich und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich. §10 Abs1 Z5 SMG, der die gesetzliche Grundlage für die §§23c und 23e Abs2 Suchtgiftverordnung bildet, ist nicht verfassungswidrig; die präjudiziellen Regelungen der Suchtgiftverordnung sind nicht gesetzwidrig.

Verletzung im Gleichheitsrecht:

Der Vorwurf des Fehlens einer nachvollziehbaren Dokumentation bezieht sich auf den Zeitraum März 2020 bis Mai 2021. In diesem Zeitraum waren - mit Blick auf die COVID-19 Pandemie - Sonderregelungen in Kraft.

Das Verwaltungsgericht Wien (VGW - LVwG) geht in der Begründung seiner Entscheidung auf diese spezifische, auch rechtlich unterschiedlich zu beurteilende Situation während dieses durch COVID-19 bestimmten Zeitraumes nicht ein: Die angelasteten Verletzungen der Dokumentationspflichten stehen in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zum Ausbruch der COVID-19 Pandemie, wie der Beschwerdeführer auch in seiner Beschwerde hervorhebt.

Indem sich das VGW im Wesentlichen darauf beschränkt, die vom Beschwerdeführer in mehreren Fällen vorgenommene Dokumentation als nicht ausreichend iSv nicht nachvollziehbar zu qualifizieren, ohne auf die rechtlichen und tatsächlichen Besonderheiten des Zeitraumes während der Pandemie einzugehen und insbesondere die mit BGBl I 16/2020 eingeführte und am 21.03.2020 in Kraft getretene Rechtslage (die zum Beispiel im Hinblick auf die Vidierung von Dauerverschreibungen Änderungen enthalten hat) einzugehen (diese ist für die Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe bedeutsam), hat es Willkür geübt.

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