E3166/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Das BVwG geht in seiner Beweiswürdigung davon aus, dass die vom Beschwerdeführer behauptete homosexuelle Orientierung ua deshalb nicht glaubwürdig sei, weil es sich dabei um ein gesteigertes Fluchtvorbringen handle und der Beschwerdeführer das Vorbringen weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme vor dem BFA, sondern erstmals in der Beschwerde erstattet habe. Es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen, darzulegen, weshalb es ihm erst im Rahmen der Beschwerde möglich gewesen sei, über seine behauptete homosexuelle Orientierung zu sprechen und weshalb er dies vor seinem Rechtsberater, mit dem er vor der Einvernahme ausreichend Zeit und Raum für die Besprechung gehabt habe, verschwiegen habe und sich erst im Rahmen der ergänzenden Rechtsberatung zur Verfassung einer Beschwerde öffnen habe können. Dem ist entgegenzuhalten, dass angesichts des sensiblen Charakters von Fragen zur persönlichen Sphäre aus einer zögerlichen Offenbarung der Homosexualität nicht der Schluss gezogen werden darf, dass die betreffende Person unglaubwürdig ist. Es erscheint in diesem Zusammenhang auch wenig nachvollziehbar, dass das BVwG in seiner Entscheidung explizit auf die diesbezügliche Judikatur sowie auf die SOGI-Guidelines des UNHCR vom 23.10.2012 hinweist, in der Folge aber die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hinsichtlich der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers im Wesentlichen fast ausschließlich - und damit im absoluten Widerspruch zu der selbst zitierten Judikatur - damit begründet, dass das Vorbringen erst in der Beschwerde und nicht bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erstattet worden sei.
Auch die Begründung, wonach sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens daraus ergebe, dass der Beschwerdeführer nicht darlegen habe können, weshalb es ihm nicht schon im Rahmen des Behördenverfahrens bzw des Beratungsgespräches vor der Einvernahme durch das BFA, sondern erst im Rahmen der ergänzenden Rechtsberatung zur Verfassung einer Beschwerde möglich gewesen sei, sich zu öffnen, vermag nicht zu überzeugen, weil sich die Begründung dafür schon aus den vom BVwG selbst zitierten SOGI-Guidelines ergibt, wonach sich Schamgefühle, verinnerlichte Homophobie und Traumata sowie erlebte Diskriminierung, Hass und Gewalt in all ihren Formen nachteilig auf die Fähigkeit eines Antragstellers auswirken können, seine Ansprüche geltend zu machen. Das Fehlen von darüber hinaus gehenden Angaben vermag eine Unglaubwürdigkeit des Vorbringens nicht zu begründen, zumal der Beschwerdeführer selbst in der Beschwerde angegeben hat, dass er seine Homosexualität auf Grund großer Angst und psychischer Hemmungen verschwiegen habe.
Die Begründung der Unglaubwürdigkeit damit, dass die Angaben zur Homosexualität, wonach es in der Vergangenheit zur Verfolgung in Form von Misshandlungen und Todesdrohungen durch seine Familie gekommen sei, im krassen Widerspruch zur vom Beschwerdeführer geschilderten Familiensituation im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA stünden, vermag die behauptete Homosexualität nicht zu widerlegen. Das BVwG wäre vielmehr verpflichtet gewesen, sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu verschaffen, um den Wahrheitsgehalt der behaupteten sexuellen Orientierung überprüfen zu können.
Das BVwG wäre vielmehr verpflichtet gewesen, sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu verschaffen, um den Wahrheitsgehalt der behaupteten sexuellen Orientierung überprüfen zu können.