G172/2022, V172/2022 (G172/2022-14; G172/2022, V172/2022) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Aufhebung des §3 Z4 COVID-19-WohlverhaltensG, BGBl I 11/2021 sowie der Wortfolge "über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden sein; ein Ausfallsbonus darf jedoch dennoch gewährt werden, sofern es sich um eine Finanzordnungswidrigkeit oder eine den Betrag von EUR 10.000 nicht übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße handelt" in Punkt 3.1.7 des Anhanges zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Ausfallsbonus an Unternehmen mit einem hohen Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus), BGBl II 74/2021. Fristsetzung: Inkrafttreten der Aufhebungen mit Ablauf des 15.04.2024.
Obwohl der Antrag als sogenannter Quasi-Anlassfall anzusehen ist, hat die mit E v 05.10.2023, G265/2022, bewirkte Aufhebung des §2 Abs1 Z3, §2 Abs2 Z7, §2 Abs2a, §3b Abs2 und §6a ABBAG-Gesetz keine Auswirkungen auf den vorliegenden Antrag. Der VfGH hat keine Gesetzesbestimmung aufgehoben, welche eine materiell- oder verfahrensrechtliche Grundlage für die angefochtene Bestimmung des Anhanges zur VO Ausfallsbonus I ist. Durch die Aufhebung verliert die COFAG als beklagte Partei des gerichtlichen Anlassverfahrens auch nicht ihre Rechtspersönlichkeit. Die klagende Partei im gerichtlichen Ausgangsverfahren, welche die antragstellende Partei in diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren ist, wird sohin durch die Aufhebung des §2 Abs1 Z3, §2 Abs2 Z7, §2 Abs2a, §3b Abs2 und §6a ABBAG-Gesetz nicht gehindert, das gerichtliche (Anlass-)Verfahren gegen die beklagte Partei fortzusetzen.
Die angefochtene Regelung in §3 Z4 Bundesgesetz, mit dem Förderungen des Bundes aufgrund der COVID-19-Pandemie an das steuerliche Wohlverhalten geknüpft werden, und damit auch Punkt 3.1.7 des Anhanges zur VO Ausfallsbonus I sind unsachlich, weil der Gesetz- bzw Verordnungsgeber in der Regelung ausschließlich darauf abstellt, dass in den letzten fünf Jahren vor der Stellung des Antrages auf Gewährung des Ausfallsbonus eine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße auf Grund von Vorsatz über das antragstellende Unternehmen oder dessen geschäftsführende Organe verhängt worden ist.
Zwar ist es dem Grunde nach nicht unsachlich, finanzielle Maßnahmen an das steuerliche Wohlverhalten zu knüpfen. Der Gesetz- bzw Verordnungsgeber hat jedoch nicht normiert, in welchem Zeitraum die Abgabenhinterziehung stattgefunden haben muss. Dies bedeutet, dass auch Unternehmen von der Gewährung der Hilfsmittel ausgeschlossen sind, die weit zurückliegend in der Vergangenheit eine Abgabenhinterziehung begangen haben. Dies gilt freilich nur unter der Voraussetzung, dass die Verjährung der Strafbarkeit nicht eingetreten ist. Gemäß §31 Abs4 litc FinStrG wird dabei in die Verjährungsfrist für die Strafbarkeit unter anderem die Zeit nicht eingerechnet, "während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, bei Gericht, bei einer Finanzstrafbehörde oder beim Bundesfinanzgericht geführt wird". Dabei ist von Bedeutung, dass es im Finanzstrafgesetz nur für Finanzvergehen, für deren Verfolgung die Finanzbehörde zuständig ist, eine absolute Verjährungsfrist für die Strafbarkeit gibt; Vergleichbares gilt für Finanzstrafdelikte, zu deren Verfolgung die Strafgerichte zuständig sind, nicht.
Die angefochtenen Regelungen haben sohin in Verbindung mit den einschlägigen Regelungen des Finanzstrafgesetzes zur Folge, dass es keine zeitliche Grenze für den Ausschluss von der Gewährung des Ausfallsbonus wegen weit in der Vergangenheit liegender vorsätzlicher Abgabenhinterziehungen geben kann. Die einzige zeitliche Festlegung für den Ausschluss ist, dass die rechtskräftige Verhängung der Finanzstrafe oder einer entsprechenden Verbandsgeldbuße in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung erfolgt sein muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Zusammenhang zwischen der (Nicht-)Gewährung der Ausgleichszahlungen und dem steuerlichen Fehlverhalten sich immer stärker verdünnt und daher keine entscheidende Rolle mehr spielen kann, je länger die vorsätzlich begangene Finanzstraftat zurückliegt.
Nach Auffassung des VfGH ist §3 Z4 COVID-19-WohlverhaltensG gleichheitswidrig und findet auch die angefochtene Regelung in Punkt 3.1.7 des Anhanges zur VO Ausfallsbonus I - nach Aufhebung des §3 Z4 COVID-19-WohlverhaltensG - keine Deckung in §3b Abs3 ABBAG-Gesetz, weil dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, bei der Festlegung des Kreises der begünstigten Unternehmen eine unsachliche Festlegung vorgesehen zu haben.