JudikaturVfGH

E745/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
28. Juni 2023

Das BVwG hat die verfassungsrechtlich geforderte Einzelfallprüfung unterlassen, indem es davon ausgeht, dass hinsichtlich jener Zeiträume, die nach den Entscheidungen über die amtswegige Haftprüfung nach §22a Abs4 BFA-VG liegen, bindend feststehe, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorgelegen seien und diese auch verhältnismäßig gewesen sei, obwohl es schließlich zum Ergebnis kommt, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von Beginn an rechtswidrig gewesen sei.

Diese vom BVwG angenommene Bindungswirkung ist vom Gesetz nicht gedeckt: Gemäß §22a Abs4 BFA-VG ist für den Fall, dass ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden soll, die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem der vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom BVwG zu überprüfen. Es hat dabei jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Schon der Wortlaut dieser Bestimmung verdeutlicht, dass das BVwG nur darüber abzusprechen hat, ob die Fortsetzung der Schubhaft im Entscheidungszeitpunkt zulässig bzw die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Hinsichtlich der vor und nach der Entscheidung gemäß §22a Abs4 BFA-VG liegenden Zeiträume ist der Fremde daher berechtigt, eine Beschwerde nach §22a Abs1 BFA-VG zu erheben und damit eine inhaltliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges herbeizuführen, ohne dass das BVwG bei der Entscheidung über diese Beschwerde an eine Entscheidung gemäß §22a Abs4 BFA-VG gebunden wäre.

Das BVwG wäre daher trotz der gemäß §22a Abs4 BFA-VG ergangenen Entscheidungen verpflichtet gewesen, sich mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Schubhaft hinsichtlich des Zeitraumes von einschließlich 24.02.2022 bis einschließlich 20.07.2022 (mit Ausnahme des 23.03., 14.04., 06.05. und 03.06.2022) auseinanderzusetzen. Da die Abweisung der Anträge der Parteien des Verfahrens vor dem BVwG auf Kostenersatz gemäß §35 VwGVG mit der Abweisung der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid in untrennbarem Zusammenhang stehen, ist das bekämpfte Erkenntnis auch insoweit aufzuheben.

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