E2261/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Sofern das BVwG von der Zulässigkeit einer vorübergehenden Trennung des Beschwerdeführers von seiner Familie, ausgeht, verkennt es die Intensität der familiären Bindung zu seinen Kindern und seiner Ehefrau, mit denen er seit jeher - so auch in Österreich - im gemeinsamen Haushalt lebt und in Österreich seine beiden Kinder täglich betreut. Ebensowenig bezieht das BVwG mit ein, dass die Dauer und der Ausgang eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens, wovon die Verhältnismäßigkeit des mit der Trennung verbundenen Eingriffs ins Familienleben abhängt, ungewiss sind.
Bei seiner Annahme, dass das Familienleben auch im Gazastreifen (zumindest für die Dauer eines Niederlassungsverfahrens) fortgesetzt werden könne, lässt das BVwG außer Betracht, dass die Kinder des Beschwerdeführers als österreichische Staatsbürger in Österreich eingeschult wurden bzw hier den Kindergarten besuchen. Auch lässt es völlig offen, wie sich die Rückkehrsituation für die Kinder im Gazastreifen darstellt, ein Gebiet, das das BVwG selbst als unter "anhaltende[n] Spannungen" stehend bezeichnet und in einer "teils schwierigen [...] Versorgungslage" sieht. Dass der Beschwerdeführer ein Haus im Gazastreifen habe, seine Ehefrau ihre berufliche Tätigkeit dort fortsetzen könne und eine Vielzahl verwandtschaftlicher Anknüpfungspunkte bestünde, vermag eine eingehende Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation für die Kinder im Gazastreifen, selbst wenn sie bis zu ihrer Ausreise dort gelebt haben, insbesondere auch im Lichte des Kindeswohles nicht zu ersetzen.