JudikaturVfGH

E1070/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
29. November 2022

Das BVwG nimmt im vorliegenden Fall an, dass die Beschwerdeführerin - eine alleinstehende, mittellose Frau mit Kindern, ohne formale Bildung und ohne familiäre Unterstützung im Herkunftsland - eben jener Gruppe der Opfer von Menschenhandel (und sexueller Ausbeutung) angehört, die bei einer Rückkehr mit Stigmatisierung zu rechnen hat. Das BVwG verneint die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gleichwohl mit dem Hinweis, dass nicht jede nach Nigeria zurückkehrende Frau, die Opfer von Menschenhandel wurde, identisch behandelt werde, sondern es auf die konkreten Umstände ankomme, weshalb eine "deutlich abgegrenzte Identität" fehle. Diese Begründung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht tragfähig: Denn das BVwG nimmt selbst an, dass die Beschwerdeführerin jener (Teil-)Gruppe angehört, der eine Stigmatisierung droht. Gerade hierin manifestiert sich aber die "deutlich abgegrenzte Identität" dieser Gruppe, weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft offensichtlich als andersartig betrachtet wird.

Der VwGH hat nicht in Zweifel gezogen hat, dass eine "abgegrenzte Identität" bei gesellschaftlicher Stigmatisierung von Opfern des Menschenhandels vorliegen kann. Auch der VfGH hat in vergleichbaren Fällen, in denen das BVwG jeweils von der Asylrelevanz der Eigenschaft als Opfer von Menschenhandel ausgegangen ist, das Vorliegen einer sozialen Gruppe nicht in Frage gestellt (VwGH vom 14.08.2020, Ro 2020/14/0002; E vom 01.07.2022, E291/2022 und E309/2022).

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