E3398/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
§12 Abs1 StbG ist eine lex specialis zu den allgemeinen Verleihungsbestimmungen des §10 StbG. Durch §12 Abs1 Z3 StbG soll ein Anspruch auf selbständige Verleihung der Staatsbürgerschaft in jenen Fällen eingeräumt werden, in denen ein durch §17 StbG eingeräumter Rechtsanspruch auf Erstreckung der Verleihung auf die Kinder nur daran scheitert, dass dem Elternteil die Staatsbürgerschaft schon verliehen wurde. §12 Abs1 Z3 StbG dient der Herstellung einer einheitlichen Staatsbürgerschaft innerhalb der Familie. Inhaltlich wirkt die Verleihung nach §12 Abs1 Z3 StbG wie eine "nachträgliche" Erstreckung der Verleihung von einem Elternteil auf dessen Kinder. Für eine solche sind die Voraussetzungen nach §17 Abs1 StbG zu prüfen, damit ua die Minderjährigkeit des Kindes.
Der VfGH hat bereits in unterschiedlichen Konstellationen ausgesprochen, dass es bei sonstigem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht von verschiedensten Zufälligkeiten oder manipulativen Umständen abhängen darf, ob ein gesetzlicher Rechtsanspruch entweder eintritt oder wegfällt oder ob einem entsprechenden Antrag stattgegeben wird. Insbesondere gilt dies in Fällen, in denen zwar rechtzeitig vor einem bestimmten Zeitpunkt ein Antrag gestellt wird, es aber von manipulativen und vom Antragsteller nicht beeinflussbaren Umständen abhängen kann, ob in der Folge auch rechtzeitig eine entsprechende Entscheidung über diesen Antrag erfolgen kann oder nicht. Im Zusammenhang mit einer (Übergangs-)Vorschrift betreffend die Möglichkeit des Staatsbürgerschaftserwerbes nach der Mutter durch Anzeige ist der VfGH dementsprechend auch davon ausgegangen, dass die konkrete Regelung nicht zu auf Zufälligkeiten beruhenden Ergebnissen führen darf (VfSlg 20145/2017).
Berücksichtigt man, dass für einen Antrag gemäß §12 Abs1 Z3 StbG Voraussetzungen bestehen, deren Realisierung einige Zeit in Anspruch nehmen kann (etwa der Nachweis, dass der Lebensunterhalt nach §10 Abs1 Z7 StbG hinreichend gesichert ist), so dass der Zeitpunkt einer Antragstellung (rechtzeitig) vor Erreichen der Volljährigkeit nicht allein in der Hand der Antragstellenden liegt, ist vor dem Hintergrund der Rsp des VfGH nicht ersichtlich, warum der Rechtsanspruch nach §12 Abs1 Z3 StbG davon abhängig gemacht werden darf, wie lange ein entsprechendes staatsbürgerschaftsbehördliches und gegebenenfalls in der Folge verwaltungsgerichtliches Verfahren dauert. Der verwaltungsrechtliche Säumnisschutz bietet hier keine ausreichende Abhilfe, weil er unangemessene Säumnis hintanhalten und nicht eine Entscheidung zu einem bestimmten Zeitpunkt garantieren soll. Hätte §12 Abs1 Z3 StbG daher einen solchen Inhalt, wäre er verfassungswidrig.
Ein derartiges Ergebnis lässt sich aber vermeiden, indem davon ausgegangen wird, dass nach §12 Abs1 Z3 iVm §17 Abs1 StbG für die spezifische Voraussetzung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei der Staatsbürgerschaftsbehörde abzustellen ist (s zu §46 Abs1 Z2 NAG VwGH 09.09.2020, Ra 2017/22/0021). §12 Abs1 Z3 StbG ist auch einer solchen verfassungskonformen Interpretation zugänglich.