JudikaturVfGH

E1042/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
29. Juni 2022

Aufhebung eines (Straf-)Erk des Verwaltungsgerichts Wien (VGW - LVwG) wegen Verletzung im Recht auf Pressefreiheit.

Die Pressefreiheit umfasst insoweit zunächst das in Art13 Abs2 StGG verankerte Verbot, den Betrieb der Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften an eine behördliche Bewilligung zu binden. Dieses sogenannte Konzessionsverbot nimmt jedenfalls die Aufnahme und den Betrieb der gewerblichen Tätigkeit als Herausgeber vom Gebot einer präventiven behördlichen Genehmigung dieser Erwerbstätigkeit aus. Bereits mit ArtV litp des Kundmachungspatents zur GewO 1859 wurde auch der "Verschleiß" periodischer Druckwerke, dh insbesondere von Zeitungen, vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahme vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung vor dem Hintergrund der durch Art13 StGG im Jahr 1867 eingeführten Pressefreiheit aufrechterhalten. Die Ausnahmeregelung für bestimmte "pressebezogene" Tätigkeiten wurde durch §2 Abs1 Z18 GewO 1973 unter Ersetzung des Wortes "Verschleiß" durch "Kleinverkauf" übernommen. Damit sollte lediglich klargestellt werden, dass zwar der Kleinverkauf, nicht aber der Großhandel mit periodischen Druckschriften von den Bestimmungen der Gewerbeordnung ausgenommen ist. Die Distribution von periodischen Druckwerken an Letztverbraucher, dh insbesondere der Verkauf von Zeitungen an Letztverbraucher, wird seit jeher nicht von einer vorherigen gewerberechtlichen Genehmigung abhängig gemacht, und die gänzliche Ausnahme des Kleinverkaufes vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung bewirkt, dass auch kein gewerberechtlicher Anmeldevorbehalt zum Tragen kommt.

Die in Art13 Abs2 StGG normierte Pressefreiheit ist im Lichte von Art10 EMRK auszulegen. Die Meinungsfreiheit schützt gemäß Art10 EMRK den gesamten Prozess der Sammlung und Verbreitung von Informationen durch die Presse, insbesondere die journalistischen Gestaltungsmittel und Quellen sowie - was den hier relevanten Zusammenhang betrifft - ihre Distribution über beliebige Vertriebswege einschließlich der Verbreitung von Zeitungen an öffentlichen Orten. Neben dem Medieninhaber und den ihm zuzurechnenden Personen sind auch externe Hilfskräfte, welche die Distribution periodischer Druckwerke an Letztverbraucher vornehmen, als vom Schutzbereich der Pressefreiheit erfasst anzusehen. Insbesondere die Tätigkeit von (selbständigen) Kolporteuren ist unzweifelhaft vom Schutzbereich der Pressefreiheit erfasst.

Vor diesem Hintergrund ist der Beurteilung des VGW, wonach bei der Tätigkeit des Beschwerdeführers - mit Blick auf die ausdrücklich im Lichte der Presse- bzw Medienfreiheit erfolgte Interpretation - der Transport der Zeitungen im Vordergrund stehe, nicht zu folgen:

Der Umstand, dass der spezifische Vertriebsweg des Verkaufes von Zeitungen an Letztverbraucher durch die Bereitstellung von Selbstbedienungstaschen auf Straßen auch den Transport dieser Verkaufsbehältnisse verlangt, reicht nicht hin, diese Tätigkeit vom Begriff Kleinverkauf und in der Folge vom Schutzbereich der Pressefreiheit gemäß Art13 Abs2 StGG gänzlich auszunehmen, wie dies das VGW als geboten erachtet ("weder in organisatorischer noch in sachlicher Hinsicht Zielobjekt der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Presse- bzw Medienfreiheit"). Im Lichte der Pressefreiheit kann es gerade nicht darauf ankommen, ob der Zeitungsverkauf an Letztverbraucher im Wege des Straßenverkaufes, an einem Zeitungsverkaufsstand oder über Selbstbedienungstaschen, dh über sogenannte "stumme Verkäufer", erfolgt. Es stellt ein Wesensmerkmal des Zeitungsverkaufes über Selbstbedienungseinrichtungen dar, dass beim konkreten Kaufabschluss nur der Letztverbraucher am Verkaufsort anwesend ist. Der Transport und das Aufstellen der Selbstbedienungseinrichtungen, das Befüllen der Verkaufstaschen sowie das Anbringen der Kassenbehälter stellen für das Zustandekommen des konkreten Zeitungsverkaufes notwendige und mit der Distribution an Letztverbraucher eng verbundene Arbeitsschritte dar, sodass die im vorliegenden Zusammenhang zu beurteilende Tätigkeit als vom Schutzbereich der Pressefreiheit gemäß Art13 Abs2 StGG umfasst anzusehen ist.

Indem das VGW davon ausging, die Tätigkeit des Beschwerdeführers habe "keinen nennenswerten Bezug zur Abwicklung von Kaufverträgen" und betreffe im Kern nicht die Pressefreiheit, hat es §2 Abs1 Z18 GewO 1994 einen denkunmöglichen Inhalt unterstellt.

Angemerkt sei, dass es dem Gesetzgeber nicht grundsätzlich verwehrt ist, die Distributionswege von Massenmedien aus Gründen öffentlicher Interessen zu beschränken. Auch die Pressegewerbe können sonstigen - dh nicht von den absoluten Schranken des Konzessionsverbotes erfassten - Beschränkungen unterliegen. Ein damit verbundener Eingriff ist gemessen an Art13 StGG iVm Art10 Abs2 EMRK nur insofern zulässig, als er gesetzlich vorgesehen ist, nicht gegen ein absolutes Eingriffsverbot iSd Art13 Abs2 StGG (bzw Z2 Beschluss ProvNV) verstößt und zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und verhältnismäßig ist.

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