G158/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Der Gesetzgeber hat seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn das Recht auf Widerspruch samt dadurch ausgelöstem Sichtungsverfahren (§112 StPO) auf jene Fälle beschränkt wird, in denen sich die sichergestellten Unterlagen und Datenträger beim Berufsgeheimnisträger selbst bzw in dessen Gewahrsame befinden. Denn im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung kann davon ausgegangen werden, dass bei einer Sicherstellung bei einem Berufsgeheimnisträger - im Unterschied zu einer Sicherstellung andernorts - die Wahrscheinlichkeit besonders hoch ist, dass Unterlagen konfisziert werden, die das vertrauliche Verhältnis zwischen Beschuldigtem und Berufsgeheimnisträger betreffen.
Der VfGH vermag auch keinen Widerspruch der angefochtenen Vorschriften (§111 Abs1 und 2 StPO idF BGBl I 52/2009 und des §112 StPO idF BGBl I 29/2012) zu Art6 und 8 EMRK und Art90 Abs2 B-VG erkennen: Denn die Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und seinem Rechtsanwalt (oder einem anderen Berufsgeheimnisträger) ist bereits auf einfachgesetzlicher Ebene umfassend geschützt. Insbesondere ist es unzulässig, das Recht der in §157 Abs1 Z2 StPO angeführten Personen, die Zeugenaussage zu verweigern, zu umgehen, etwa durch Sicherstellung von Unterlagen (§144 Abs2 und 3, §157 Abs2 StPO). Wird gegen dieses Gebot verstoßen, stehen jedem davon Betroffenen die Rechtsbehelfe des Einspruchs wegen Rechtsverletzung gemäß §106 Abs1 Z2 StPO samt dem Antrag, ihm die Unterlagen wieder zurückzugegeben (§107 Abs4 StPO), und des Antrags auf gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung (§111 Abs4 StPO) offen. Dieser Schutz ist im Lichte von Art6 und 8 EMRK und Art90 Abs2 B-VG ausreichend. Diese Verfassungsbestimmungen verlangen keinen zusätzlichen Rechtsbehelf nach Art des Widerspruches, wie er in §112 StPO geregelt ist.