JudikaturVfGH

E159/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
24. September 2019

Zunächst hält das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dem Beschwerdeführer vor, dieser lege "in der Beschwerdeverhandlung einen in der Erstbefragung nicht einmal andeutungsweise erwähnten Sachverhalt" dar. Da der Beschwerdeführer in der Erstbefragung jedoch bereits eine Verfolgung durch "die irakische Regierung, schiitische Milizen" und damit den in der mündlichen Verhandlung geschilderten Fluchtgrund im Kern geltend macht, ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die vom Gericht vorgenommene Gegenüberstellung der beiden Aussagen eignen soll, die Plausibilität des Vorbringens in Zweifel zu ziehen, zumal §19 Abs1 AsylG 2005 ausdrücklich bestimmt, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat.

In Anbetracht der Länderinformationen hätte das BVwG insbesondere darlegen müssen, inwiefern es sich im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt bei den schiitischen Milizen, gerade bei der vom Beschwerdeführer namentlich genannten Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq, um eine von der irakischen Regierung "gänzlich andere Gefahrenquelle" handelt. Diesbezüglich hat es das BVwG verabsäumt, sich in seiner Entscheidung konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region, aus der der Beschwerdeführer stammt, auseinanderzusetzen. Ebenso bleibt das Gericht eine Begründung schuldig, weshalb eine "(bloße)" Schutzgelderpressung in einer Konstellation wie der vorliegenden in Anbetracht des aus den Länderinformationen hervorgehenden Zusammenwirkens der irakischen Regierung mit den Milizen keine asylrelevante Verfolgung darstellen könne.

Die Annahme des BVwG, es sei "gänzlich lebensfremd", dass der Beschwerdeführer angesichts der behaupteten Ermordung seines Geschäftspartners ein finanzielles Arrangement mit seinen Erpressern nicht einmal versucht habe, bleibt ohne jede Begründung, weshalb es sich dabei lediglich um eine unsubstantiierte Behauptung handelt. Auch für die These des Gerichtes, es sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in Anbetracht der Ermordung seines Geschäftspartners sofort geflohen sei, anstelle den Geschäftsstandort zu verlegen oder die Tätigkeit zu beenden, wird keine substantiierte Begründung angeführt; das BVwG stellt diese Behauptung vielmehr auf, ohne auszuführen, weshalb sich eine Person in einer derartigen Situation zwingend so verhalten solle (vgl zu bloßen Mutmaßungen VfGH 27.02.2018, E2016/2017). Schließlich kann die bloße Tatsache, dass sich eine Person, die sich bedroht fühlt, an die Polizei wendet, auch wenn sie Verbindungen zwischen der Polizei und der Miliz vermutet, nicht dazu dienen, dem Fluchtvorbringen pauschal die Glaubhaftmachung abzusprechen.

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