JudikaturVfGH

E4241/2018 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
24. September 2019

Gemäß §5 Abs2 Z2 Wr MindestsicherungsG (WMG) haben aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Im vorliegenden Fall kommen insbesondere ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach §52 NAG oder ein Daueraufenthaltsrecht nach §53a NAG in Betracht: §52 NAG sieht unter anderem ein Aufenthaltsrecht für EWR-Bürger vor, die Kinder von EWR-Bürgern sind. Bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes steht dem Kind dieses Aufenthaltsrecht ohne weitere Voraussetzungen zu. Ab Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes besteht das Aufenthaltsrecht hingegen nur mehr, soweit die unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten Eltern ihren Kindern tatsächlich Unterhalt gewähren. Das Daueraufenthaltsrecht nach §53a NAG kommt EWR-Bürgern bspw dann zu, wenn sie fünf Jahre über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach §52 NAG verfügt haben und daher fünf Jahre lang rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich aufhältig waren.

Im vorliegenden Fall hatte das Verwaltungsgericht (Landesverwaltungsgericht, LVwG, VGW) folglich zu beurteilen, ob den Eltern der Beschwerdeführerin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zugekommen ist und ob die 20-jährige Beschwerdeführerin daher ein Aufenthaltsrecht nach §52 NAG hat(te). Sofern der Beschwerdeführerin ein solches Aufenthaltsrecht - auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit - zusteht oder zustand, wäre außerdem zu prüfen, ob sie mittlerweile ein Daueraufenthaltsrecht nach §53a NAG erworben hat.

Das VGW geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin seit 2009 - sohin seit zehn Jahren - in Österreich aufhältig ist. Außerdem führt das VGW aus, dass der Vater der Beschwerdeführerin von 1995 bis zu seinem Tod im Jahr 2016 erwerbstätig gewesen sei und daher kein Zweifel an dessen Aufenthaltsrecht bestehe. Im Hinblick auf ein etwaiges Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin interpretiert das VGW §52 Abs1 Z2 NAG aber dahingehend, dass Kindern nur dann ein Aufenthaltsrecht zukomme, wenn ihnen ihre aufenthaltsberechtigten Eltern tatsächlich Unterhalt gewährten.

§52 Abs1 Z2 NAG erkennt besondere Umstände an, bei deren Vorliegen die für Kinder typische Abhängigkeit von ihren Eltern auch im Erwachsenenalter weiterhin angenommen wird. Die Auslegung des VGW spricht der in §52 Abs1 Z2 NAG geregelten Altersgrenze aber jegliche Bedeutung ab. Diesfalls käme nämlich das Aufenthaltsrecht - unabhängig vom Alter der Kinder - immer nur Kindern zu, denen tatsächlich Unterhalt gewährt wird. Auch aus systematischen Überlegungen ist die Auslegung des VGW abzulehnen, verlangt doch §53 Abs2 Z5 NAG nur "bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres" einen Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung vorzulegen. Außerdem nimmt das VGW eine unionsrechtswidrige Auslegung vor: Das Ignorieren der Altersgrenze widerspricht Art2 Z2 litc Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeits-RL), der Familienangehörige als Verwandte in gerader absteigender Linie definiert, "die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen [...] Unterhalt gewährt wird".

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