E3478/2018 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) weist die Beschwerde mit der Begründung ab, dass der Antrag auf Erteilung eines Einreisevisums mehr als drei Monate nach Rechtskraft der Entscheidung gestellt wurde, mit der der Bezugsperson in Österreich internationaler Schutz zuerkannt wurde. Ein Visum dürfe diesfalls gemäß §35 Abs1 letzter Satz AsylG 2005 nur erteilt werden, wenn der den Antrag stellende Familienangehörige die Voraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 AsylG 2005 erfüllt. Dies sei im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. "Einzig der Vollständigkeit halber" führt das BVwG aus, dass - entgegen den Feststellungen der Behörde - ein schützenswertes Familienleben gemäß Art8 EMRK vorliege: Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern sei eine besonders geschützte Verbindung, die nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden könne. Die Trennung des Beschwerdeführers von der Bezugsperson sei durch die Flucht der Bezugsperson verursacht worden. Dafür, dass im vorliegenden Fall durch außergewöhnliche Umstände jede Verbindung gelöst worden sei, gebe es keine Anhaltspunkte. Es liege daher ein schützenswertes Familienleben gemäß Art8 EMRK vor.
Rechtliche Konsequenzen zieht das BVwG aus dieser Feststellung jedoch nicht. Es übersieht insbesondere, dass gemäß §35 Abs4 Z3 AsylG 2005 die in §60 Abs2 Z1 bis Z3 AsylG 2005 normierten Voraussetzungen nicht vorliegen müssen, wenn die Stattgabe des Antrags zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art8 EMRK erforderlich ist. Das BVwG bejaht zwar das Vorliegen eines schutzwürdigen Familienlebens, unterlässt aber die im Lichte des Art8 EMRK gebotene und gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Interessenabwägung. Durch dieses Verkennen der Rechtslage ist das angefochtene Erkenntnis des BVwG mit Willkür behaftet.