E2556/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Das Bundesfinanzgericht geht in seiner Begründung davon aus, dass die Fahrten zwischen Haupt- und Nebenwohnsitz weder zwangsläufig noch außergewöhnlich seien, da sie nicht außerhalb des Üblichen lägen, fielen doch auch bei nicht behinderten Personen derartige Kosten an. Auch erfolgten keine Fahrten zu einer Sonder- bzw Pflegeschule oder einer Behindertenwerkstätte.
Damit verkennt das Bundesfinanzgericht die Rechtsprechung des VwGH insofern, als der VwGH in seinem Erkenntnis vom 20.05.2010, 2007/15/0309, Mehraufwendungen für Fahrtkosten zu einer Sonderschule im Hinblick auf die Behinderung des Kindes als außergewöhnliche Belastungen anerkennt, und vor dem Hintergrund, dass sie vom gesetzlich formulierten Zweck des Pflegegeldes nicht erfasst sind, diese ohne Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld gemäß §5 Abs3 der VO über außergewöhnliche Belastungen in voller Höhe zum Abzug zulässt. Diese Rechtsansicht des VwGH gründet auf der Rechtsprechung des VfGH, wonach Aufwendungen, bei denen die in §34 Abs6 EStG 1988 vorgesehene Anrechnung von Pflegegeld besonders widersinnig und daher unsachlich wäre, erst durch die gesetzeskonforme Anwendung der VO über außergewöhnliche Belastungen von der Gegenverrechnung mit dem Pflegegeld ausgenommen werden (VfSlg 16839/2003).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sind aber Fahrtkosten für ein behindertes Kind für den Besuch einer Sonder- oder Pflegeschule als außergewöhnliche Belastungen iSd §5 Abs3 der VO über außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Gleiches gilt für Fahrtkosten anlässlich der Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte. Sofern Kosten für ein Wohnheim mit "Tagesstruktur (Fähigkeitsorientierte Aktivität)" nicht als für eine Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte anfallend qualifiziert werden können - von letzterem geht das Bundesfinanzgericht ohne weitere Ermittlungen und Sachverhaltsfeststellungen zum Inhalt der Tätigkeit im Rahmen einer Tagesstruktur mit "Fähigkeitsorientierter Aktivität" aus - rechnen Fahrtkosten, die, wie im vorliegenden Fall, der Erzielung eines positiven therapeutischen Effektes dienen, in gesetzeskonformer Interpretation zu den Kosten für die Heilbehandlung gemäß §4 der VO über außergewöhnliche Belastungen.
Indem das Bundesfinanzgericht die Rechtslage in einem entscheidenden Punkt verkannt hat, hat es Willkür geübt.