Keine Bedenken gegen § 2 NÖ Landtagswahlordnung (LWO) 1974.
Die bestehende Einteilung des Landes Niederösterreich für die Zwecke der Landtagswahlen in 4 Wahlkreise knüpft an die historisch entstandene Einteilung des Landes in durch die Donau und die Bergzüge des Manhartsberges und des Wienerwaldes begrenzte Viertel an. Die bestehende Wahlkreiseinteilung ist also nicht im Hinblick auf ein bestimmtes derzeit gegebenes Verhältnis unter den Wählergruppen gezielt geschaffen worden, so daß sich Überlegungen in Richtung einer unsachlichen Gestaltung von vornherein erübrigen.
Die 4 Wahlkreise sind derart umschrieben, daß bei der angefochtenen Wahl vom 25. März 1979 von den 56 zu vergebenden Landtagsmandaten (Art. 8 NÖ Landesverfassung 1979 (LV) ; § 1 LWO) auf Grund der Bürgerzahlen von jeweils 504.280, 477.809, 251.733 und 279.339 auf die Wahlkreise jeweils 16, 19, 10 und 11 Mandate entfielen (§ 3 LWO , und zwar bei jeweils 287.861, 363.015, 172.349 und 204.147 Wahlberechtigten. Eine Regelung der Wahlkreise, die ein solches Wahlergebnis zur Folge hat, liegt im Rahmen des Systems der Verhältniswahl. Gegen diese Regelung für sich betrachtet hegt der VfGH keine Bedenken.
Der VfGH hat schon in den Erk. Slg. 1381/1931, 1382/1931 und 3653/1959 ausgeführt, daß die Wahlzahl, das ist die Mindestzahl von Stimmen, über die eine Partei verfügen muß, um wenigstens einen Abgeordneten zu erhalten, mit dem Verhältniswahlsystem wesensnotwendig verknüpft ist, daß es somit eine Verhältniswahl ohne Wahlzahl nicht gibt. Der VfGH hat in diesen Erk. des Jahres 1931 auch ausgeführt, daß es den Grundsätzen der Verhältniswahl nicht zuwiderläuft, wenn - nach der damals geltenden Nationalratswahlordnung - die Erreichung der Wahlzahl in einem der 25 Wahlkreise des ersten Ermittlungsverfahrens die kardinale Voraussetzung für die Zuweisung von Mandaten überhaupt bildet und wenn diese Voraussetzung auch für ein zweites Ermittlungsverfahren, " daß doch nur eine Ergänzung des ersten Verfahrens ist" , gilt. In dem genannten Erk. des Jahres 1959 hat der VfGH ausgeführt, es könne nicht eine Verfassungswidrigkeit im Fehlen der Möglichkeit erblickt werden, daß sich eine Partei nachträglich im zweiten Ermittlungsverfahren als zahlenmäßig erheblich qualifiziert, wenn ihr dies im ersten Ermittlungsverfahren (sofern die dieses betreffende Regelungen der Verfassung nicht widersprechen) nicht gelungen ist .
Im Erk. Slg. 3654/1959 hat sich der VfGH mit Bedenken gegen § 81 Abs. 1 NÖ LWO 1959, LGBl. 273/1959, auseinandergesetzt, wonach Parteien, denen im ersten Ermittlungsverfahren im ganzen Landesgebiet kein Mandat zugefallen ist, auch im zweiten Ermittlungsverfahren auf Zuweisung von Restmandaten keinen Anspruch haben (der also wörtlich dem hier angewendeten § 96 Abs. 1 LWO entspricht) . Der VfGH hat diese Bestimmung aus sinngemäß den gleichen Gründen für unbedenklich gehalten, die in dem vorstehend wiederholt erwähnten, die Nationalratswahl betreffenden Erk. Slg. 3653/1959 ausgeführt sind.
Der Verweis auf dieses Erk. bedeutet, daß die Aussage über die Unbedenklichkeit der genannten Bestimmung über das Grundmandat daran geknüpft ist, daß die das erste Ermittlungsverfahren betreffenden Regelungen verfassungsmäßig sind, was bei dem der derzeitigen Rechtslage entsprechenden gesetzlich vorgesehenen Verhältnis der Anzahl der zur Vergebung kommenden Landtagsmandate zur Zahl der Wahlkreise sowie der gleichfalls der derzeitigen Rechtslage entsprechenden Regelung der Wahlzahl und Mandatsverteilung als zutreffend angenommen worden ist.
Wie der VfGH im Erk. Slg. 6563/1971 dargelegt hat, fällt die Regelung der Wahlzahl in die Zuständigkeit des einfachen Gesetzgebers. In diesem Erk. hat der VfGH ausdrücklich die Regelung der Wahlzahl nach dem Hare'schen System (wie sie § 96 Abs. 3 NRWO 1971, BGBl. 391/1970, für das erste Ermittlungsverfahren vorsieht) und im Erk. Slg. 3653/1959 die Regelung der Wahlzahl nach dem d'Hondt'schen System (wie sie § 97 NRWO 1959, BGBl. 71/1959, für das zweite Ermittlungsverfahren vorsieht) für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet. Der Gerichtshof hat aber auch im Erk. Slg. 2654/1954 keine Bedenken gegen ein erstes Ermittlungsverfahren nach dem Hagenbach- Bischoff'schen Verfahren (wie es in den §§ 62 und 65 LWO für Tirol, LGuVBl. 35/1953, geregelt ist) geäußert. Es bestehen auch gegen die Regelung der Wahlzahl und Mandatsverteilung, wie sie in § 89 Abs. 2 und 3 LWO für das erste Ermittlungsverfahren und in § 96 Abs. 4 bis 6 LWO für das zweite Ermittlungsverfahren getroffen ist, keine Bedenken.
Ist aber das erste Ermittlungsverfahren in seinen einzelnen Komponenten (Wahlkreiseinteilung, Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise, Zuteilung der Mandate an die Wahlparteien) und im Zusammenspiel dieser Komponenten unter dem Gesichtspunkt des - vom Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation geprägten - Verhältniswahlrechtes unbedenklich gestaltet, dann bestehen auch keine Bedenken dagegen, daß Wählergruppen, denen im ersten Ermittlungsverfahren kein Mandat zugefallen ist, auch im zweiten Ermittlungsverfahren keinen Anspruch auf die Zuweisung von Mandaten haben.
Der Antragsteller bringt auch vor, es widerstreite dem für das demokratische Gemeinwesen verbindlichen Grundsatz der Verhältniswahl, wahlwerbende Parteien bei Landtagswahlen strengeren Bedingungen zu unterwerfen, als sie für die Wahl zum Nationalrat vorgesehen sind; dies tue aber die LWO, denn sonst könne es nicht geschehen, daß der Antragsteller mit seinem Stimmenpotential zwar ein Grundmandat zum Nationalrat erringen könne, aber nicht die Vertretung im NÖ Landtag. Darauf ist zu erwidern, daß eine unterschiedliche Regelung der Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen vom Verfassungsgesetzgeber vorgezeichnet und daher auch in Kauf genommen ist: Da es {Bundes-Verfassungsgesetz Art 26, Art. 26 Abs. 2 B-VG} zuläßt, für die Wahlen zum Nationalrat Wahlkreise zu schaffen, deren Gebiet sich mit dem Gebiet eines Bundeslandes deckt (Slg. 6563/1971) , jedoch durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 95, Art. 95 Abs. 3 B-VG} für die Wahlen zu den Landtagen die Teilung des Landesgebietes in mehrere Wahlkreise angeordnet ist (Slg. 8321/1978) , ergibt sich schon daraus für die genannten Wahlen eine andere Ausgangslage. Da auch andere Voraussetzungen verschieden sind, etwa die Zahl der zu vergebenden Mandate, kann die für die Wahlen zum Nationalrat getroffene Regelung nicht Maßstab für die Wahlen zu den Landtagen sein.
Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 95, Art. 95 Abs. 2 B-VG} dürfen die Landtagswahlordnungen die Bedingungen des aktiven und des passiven Wahlrechtes nicht enger ziehen als die Wahlordnung zum Nationalrat. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß dieses bundesverfassungsgesetzliche Gebot der Landesgesetzgebung nur insoweit Schranken auferlegt, als nicht andere bundesverfassungsgesetzliche Bestimmungen eine besondere Gestaltung des Wahlrechtes vorschreiben. Wie der VfGH in seinem Erk. Slg. 8321/1978 ausgeführt hat, schreibt das B-VG für die Wahlen zum Nationalrat die Teilung des Bundesgebietes in Wahlkreise (Art. 26) und für die Wahlen zu den Landtagen die Teilung der Landesgebiete in Wahlkreise (Art. 95) vor. Da ein Wahlkreis schon begrifflich eine Gliederung des Gebietes darstellt, für das der zu wählende Vertretungskörper bestimmt ist (vgl. dazu das schon erwähnte Erk. 8321/1978) , liegt es in der Natur der Sache, daß die für die Wahlen zum Nationalrat zu bildenden Wahlkreise in keinem notwendigen Zusammenhang mit den Wahlkreisen für Wahlen zu einem Landtag stehen ( vgl. für Wahlen in den Gemeinderat einer Gemeinde Slg. 6087/1969) .
Die auf den genannten verfassungsgesetzlichen Grundlagen vom einfachen Gesetzgeber erlassenen Wahlordnungen können zur Folge haben, daß in einem bestimmt umschriebenen Gebiet (etwa dem eines Bundeslandes) die bei verschiedenen Wahlen abgegebenen Stimmen (je nachdem, ob dieses Gebiet einen oder mehrere Wahlkreise bildet und je nach der Zahl der in einem Wahlkreis zu vergebenden Mandate) zwar für jede Wahl den gleichen Zählwert, nicht aber den gleichen Nutzwert oder Erfolgswert haben (vgl. Slg. 1381/1931, 1382/1931, 3653/1959 .
Der VfGH hat in seinem Erk. Slg. 8321/1978 ausgeführt, das B-VG ordne in Art. 95 für die Wahlen zu den Landtagen die Teilung des Landesgebietes in Wahlkreise an. Das Verhältniswahlrecht für die Wahlen zu den Landtagen ist also (ebenso wie für die Wahlen zum Nationalrat) vom Grundsatz der wahlkreisweisen Repräsentation geprägt (vgl. Slg. 3653/1959) . Dieses verfassungsgesetzliche Gebot ist bei jeder Gestaltung des Verhältniswahlrechtes, bei der der Gesetzgeber im übrigen an kein bestimmtes System gebunden ist (Slg. 1381/1931, 1382/1931, 6563/1971) zu beachten.
Grundgedanke des Verhältniswahlrechtes ist nach Kelsen (Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich, II. Teil, 1919, S. 48) , allen politischen Gruppen des Staates eine verhältnismäßige, d. h. ihrer ziffernmäßigen Stärke entsprechende Vertretung zu sichern. Wie der VfGH in den grundlegenden Erk. Slg. 1381/1931 und 1382/1931, ausgeführt hat, besteht zwar das Verhältniswahlrecht darin, daß allen politischen Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament nach Maßgabe ihrer Stärke gesichert sei, daß aber die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Bedeutung nach den Bestimmungen der Wahlordnung, insbesondere nach den Bestimmungen über die Wahlzahl (für die es wieder von Bedeutung ist, ob die verhältnismäßige Aufteilung der Mandate nach der Verfassung und der Wahlordnung im ganzen Staatsgebiet oder aber in einzelnen Wahlkreisen stattfindet) , zu beurteilen sei. Für das Wesen des Verhältniswahlsystems sei somit auch charakteristisch, daß jene kleinen Gruppen, welche die Mindestzahl von Stimmen, die Wahlzahl, nicht erreichen, von der verhältnismäßigen Vertretung ausgeschlossen seien. Diese Mindestzahl, die Wahlzahl, sei mit dem Verhältniswahlsystem wesensnotwendig verknüpft. Nur jene Parteien, die die Wahlzahl erreichen, seien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung. Welche Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung seien, habe der Gesetzgeber zu entscheiden; der VfGH habe nur zu prüfen, ob das vom Gesetzgeber aufgestellte Merkmal der zahlenmäßig erheblichen Bedeutung einer Partei mit den Grundsätzen der Verhältniswahl vereinbar sei. Ergänzend dazu hat der VfGH bezüglich der Wahlen zum Nationalrat im Erk. Slg. 3653/1959 ausgeführt, die Bestimmung, daß das Bundesgebiet in Wahlkreise einzuteilen sei, bewirke, daß die Parteien im Nationalrat nach ihrer Bedeutung in den einzelnen Wahlkreisen und nicht nach ihrer Bedeutung im ganzen Bundesgebiet vertreten seien, und ferner, daß der Erfolgswert der Stimmen parteienweise, aber auch wahlkreisweise verschieden sei.
Dieser Rechtsprechung lag jeweils eine Wahlordnung zu Grunde, welche die Einteilung in Wahlkreise, die Zahl der in einem Wahlkreis zu vergebenden Mandate und auch das Verfahren der Zuweisung der Mandate auf die Parteien in einer Weise geregelt hat, daß die Aussage gerechtfertigt war, nur eine Partei, die die Wahlzahl in einem Wahlkreis erreicht, sei von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung und habe somit Anspruch auf verhältnismäßige Vertretung im Parlament. Dem VfGH obliegt es, die vom einfachen Gesetzgeber vorgenommene Gestaltung des Wahlrechtes dahin zu prüfen, ob es in seiner Gesamtheit - in seinen einzelnen Komponenten und dem Zusammenspiel dieser Komponenten (Wahlkreiseinteilung, Zuweisung der Mandate an die Wahlkreise, Zuteilung der Mandate an die Parteien) - in einer Weise geregelt ist, daß dem Grundsatz der Verhältniswahl entsprochen ist, Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung eine Vertretung im Parlament zu sichern.
Der VfGH hat (und zwar in Zusammenhang mit der Wahlkreiseinteilung für die Wahlen zum Nationalrat) ausdrücklich die Meinung abgelehnt, daß in das B-VG in der vorangegangenen Verfassungsperiode präformierte Wahlkreisbegriffe eingegangen sein könnten (Slg. 6563/1971) . Auch bezüglich der Wahlkreiseinteilung für die Wahlen zu den Landtagen ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 95, Art. 95 B-VG}) gilt die gleiche Feststellung, daß keine verfassungsrechtlich vorgebildete Gestaltung der Wahlkreise besteht. Es obliegt somit dem einfachen Gesetzgeber, die Gliederung des Gebietes, für das der zu wählende Vertretungskörper bestimmt ist, in Wahlkreise vorzunehmen. Er hat dabei zu berücksichtigen, daß Größe und Struktur der Wahlkreise, vor allem aber auch der Umstand, ob das Gebiet, für das der aus einer bestimmten Anzahl von Abgeordneten bestehende Vertretungskörper zu wählen ist, in viele oder wenige Wahlkreise gegliedert ist, Auswirkungen auf die Beurteilung eines als Verhältniswahl deklarierten Wahlsystems haben können. Wie Sternberger-Vogel (Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane, Bd. I Europa, 1969, Erster Halbband, S. 37 und 40) ausführen, kann in großen Wahlkreisen ein etwa proportionales Verhältnis von Stimmen und Mandaten herbeigeführt werden, können sich aber, je kleiner man die Wahlkreise wählt, in desto geringerem Maß Stimmenanteil und Mandatsanteil der Parteien entsprechen, so daß schließlich bei fortlaufender Reduzierung der Zahl der in einem Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten eine Grenze erreicht wird, von der ab die Disproportion zwischen Stimmen und Mandaten so groß ist, daß auf Grund dieser veränderten Auswirkung einer anderen Repräsentationsvorstellung entsprochen wird; eine Verkleinerung der Wahlkreise kann also auf einen Wahlsystemwechsel zur Mehrheitswahl hinauslaufen.
Der Wählergruppe F ist durch Art. 141 Abs. 1 lit. a B-VG und § 67 Abs. 2 VerfGG 1953 i. d. F. BGBl. 18/1958 die Möglichkeit eingeräumt, die Wahl zum Landtag von NÖ anzufechten und dabei die behaupteten Verfassungswidrigkeiten der LWO geltend zu machen. Dieser Weg wurde von dem Erstantragsteller auch beschritten, und zwar in einem mit dem auf Art. 140 B-VG gestützten Antrag. Auf Grund der Wahlanfechtung hat der VfGH zu prüfen, ob gegen die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Gesetzesbestimmungen Bedenken bestehen und bejahendenfalls ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Würde in einem solchen Fall die Legitimation zur Antragstellung nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 B-VG} angenommen, würde das zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes führen, die mit dem Grundprinzip der Subsidiarität des Individualantrages nicht in Einklang stünde (vgl. Slg. 8312/1978, 9404/1978; 11. Juni 1979, V 20/77, B 222/77) .
Das Vorbringen des Antragstellers läuft darauf hinaus, daß durch die von der LWO getroffene Gestaltung der Wahlkreise und Regelung des Ermittlungsverfahrens der Erfolgswert der abgegebenen Stimmen in verfassungswidriger Weise beeinträchtigt ist und daß somit das Recht, gewählt zu werden, verletzt sei. Bei der dargelegten verfassungsgesetzlichen Rechtslage (vgl. dazu unter Wahlen Allgemeine Vertretungskörper Allgemeines Nr.) greifen aber die angefochtenen Gesetzesbestimmungen nicht in die Rechtssphäre des Antragstellers (der an erster Stelle der Parteiliste eines Kreiswahlvorschlages gereiht und auch an erster Stelle in den Landeswahlvorschlag aufgenommen war) , ein.
Der Anfechtung der Wahl des Landtages von NÖ vom 25. März 1979 wird nicht stattgegeben.
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