G75/78 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Dem Antrag des VwGH 1. den § 12 Abs. 3 des VwGG 1965, BGBl. 2/1965, als verfassungswidrig aufzuheben sowie 2. in § 12 Abs. 1 VwGG 1965 die Worte "auf Antrag des Berichters mit Zustimmung des Vorsitzenden" soweit sich diese auf die Worte "sowie über die Einstellung des Verfahrens" in § 12 Abs. 1 Z 1 VwGG 1965 beziehen, als verfassungswidrig aufzuheben; allenfalls in § 12 Abs. 1 VwGG 1965 die Worte "auf Antrag des Berichters mit Zustimmung des Vorsitzenden" als verfassungswidrig aufzuheben, wird keine Folge gegeben.
Der Übergang der Zuständigkeit vom regelmäßig zuständigen Fünfersenat auf den Dreiersenat in den in § 12 Abs. 1 genannten Fällen ist zunächst an einen Antrag des Berichters mit Zustimmung des Vorsitzenden gebunden. Sprachlich unterscheidet sich diese Bestimmung von jener des § 13, gemäß welcher der Übergang der Zuständigkeit vom Fünfersenat auf den verstärkten Senat daran gebunden ist, daß der Vorsitzende oder zwei Mitglieder der Ansicht sind, es läge einer der dort genannten Fälle vor. Da die in § 13 getroffene Regelung notwendigerweise ein Kundtun, eine Erklärung der Ansicht über das Vorliegen der in den Z 1 bis 3 dieses Paragraphen genannten Fälle verlangt (vgl dazu VfSlg. 7911/1976) , damit der Übergang der Zuständigkeit eintritt, liegt insoweit kein sachlicher Unterschied zu der in § 12 getroffenen Regelung vor, die den Übergang der Zuständigkeit an einen Antrag bindet, in den in den Z 1 und 2 dieses Paragraphen genannten Fällen im Dreiersenat zu entscheiden.
Die Fälle der Z 2 sind schon nach dem eindeutigen Wortlaut solche, mit denen Rechtsfragen schwieriger Art nicht verbunden sind. Aber auch die Reihe der in Z. 1 angeführten Fälle läßt erkennen, daß der Gesetzgeber damit solche umschreiben wollte und umschrieben hat, in denen in der Regel keine schwierigen Rechtsfragen auftreten. Hiezu ist auch darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber diese Fälle in derselben Weise umschreibt, wie jene, in denen grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden ist (§ 34 Abs. 1; § 33, § 34 Abs. 2 und § 37 Abs. 1) und daß er dabei lediglich den Fall nicht einbezieht, bei dem erfahrungsgemäß häufig schwierigere Rechtsfragen zu lösen sind, nämlich die Zurückweisung einer Beschwerde wegen Mangels der Beschwerdeberechtigung.
Bei verfassungskonformer Auslegung des § 12 Abs. 1 hat der Berichter seinen Antrag zu stellen und der Vorsitzende die Zustimmung hiezu zu erteilen, wenn beide - als Ergebnis pflichtgemäßer richterlicher Urteilsbildung (siehe auch dazu das erwähnte Erk. VfSlg. 7911/1976) - das Vorliegen eines der in Z 1 und 2 umschriebenen Tatbestände für gegeben erachten. Die Stellung eines solchen Antrages bewirkt jedoch dann nicht die Zuständigkeit des Dreiersenates zur Entscheidung, wenn ein Mitglied die Fortsetzung der Beratung im Fünfersenat verlangt.
Das Gesetz bindet ein solches Verlangen nicht ausdrücklich an das Vorliegen bestimmter Gründe.
Bei Vorliegen der Tatbestände des § 12 Abs. 1 Z 2 ist der Dreiersenat zuständig, eine meritorische Entscheidung in der Beschwerdesache zu fällen. Die Frage der Zuständigkeit ist von der Frage der meritorischen Entscheidung zu trennen. Für die meritorische Entscheidung gilt das Beschlußerfordernis des § 15 Abs. 3, wonach ein Antrag als beschlossen gilt, wenn er mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigt. § 12 Abs. 3 kann daher im Bereich des § 12 Abs. 1 Z 2 nur den Sinn haben, das Verlangen eines Mitgliedes des Dreiersenates auf Fortsetzung der Beratung im Fünfersenat auf den Fall zu beschränken, daß das Mitglied der Ansicht ist und diese äußert, es lägen die Zuständigkeitsvoraussetzungen des Abs. 1 Z 2 nicht vor, daß aber ein solches Verlangen nicht gestellt werden kann, wenn das Mitglied in der Sache selbst eine von der Rechtsauffassung der beiden anderen Mitglieder abweichende Rechtsauffassung vertritt; in der meritorischen Entscheidung muß sich das Mitglied gemäß § 15 Abs. 3 überstimmen lassen.
Bei Vorliegen der Tatbestände des § 12 Abs. 1 Z 1 ist die Zuständigkeit des Dreiersenates darauf beschränkt, "über" die Zurückweisung einer Beschwerde sowie "über" die Einstellung des Verfahrens zu entscheiden. Ebensowenig wie ein Senat in seiner Zusammensetzung als Fünfersenat, wenn er in einer Beschwerdesache keinen Grund für eine Zurückweisung der Beschwerde oder für eine Einstellung des Verfahrens findet, eine förmliche Entscheidung darüber zu treffen hat, daß die Beschwerde nicht zurückgewiesen (das Verfahren nicht eingestellt) wird, hat der Senat in seiner Zusammensetzung als Dreiersenat eine solche Entscheidung zu fällen.
Da dem Dreiersenat im Bereich des Abs. 1 Z 1 eine meritorische Entscheidung in der Beschwerdesache nicht zukommt, ist im Falle der Nichtzurückweisung (der Nichteinstellung) die Beratung im Fünfersenat fortzusetzen.
In den Fällen des Abs. 1 Z 1 ist die Frage der Zuständigkeit des Dreiersenates mit dem Inhalt der von ihm zu fällenden Entscheidung (nämlich der Zurückweisung oder Einstellung) untrennbar verknüpft: der Dreiersenat ist nur für Entscheidungen der in dieser Gesetzesstelle genannten Art zuständig. Die Tatbestände des Abs. 1 Z 1 umfassen nun solche, in denen es auf die Offenkundigkeit ankommt (die Zurückweisung wegen Unzuständigkeit des VwGH und wegen entschiedener Sache) und solche, in denen es auf die Offenkundigkeit nicht ankommt (die Zurückweisung wegen Versäumung der Einbringungsfrist und die Einstellung des Verfahrens) .
Im Bereich des § 12 Abs. 1 Z 1 kann die Regelung des § 12 Abs. 3 nur den Sinn haben, daß das Verlangen eines Mitgliedes des Dreiersenates auf Fortsetzung der Beratung im Fünfersenat lediglich dann in Betracht kommt, wenn das Mitglied der Ansicht ist, die gemäß dem Einleitungssatz des Abs. 1 beantragte Zurückweisung (Einstellung) sei nicht auszusprechen, und zwar in den Fällen, in denen es auf die Offenkundigkeit des Zurückweisungsgrundes ankommt, weil diese nicht gegeben ist, und in den anderen Fällen, weil der Zurückweisungsgrund (Einstellungsgrund) nicht vorliegt. Demnach ist ein solches Verlangen dann nicht zulässig, wenn sich aus der Beratung im Dreiersenat ergibt, daß zwar alle Mitglieder der Ansicht sind, die beantragte Zurückweisung (Einstellung) sei auszusprechen, daß die Mitglieder jedoch unterschiedlicher Meinung über die Begründung dieser Entscheidung sind; in einem solchen Fall muß sich ein Mitglied in der Frage der Begründung gemäß § 15 Abs. 3 überstimmen lassen.
Die Regelung des § 12 Abs. 3 enthält somit hinlängliche Kriterien für das von einem Mitglied - als Ergebnis pflichtgemäßer richterlicher Urteilsbildung (siehe dazu das erwähnte Erk. VfSlg. 7911/1976) - zu stellende Verlangen auf Fortsetzung der Beratung im Fünfersenat.
Mit der nur im Zusammenhang der beiden Abs. 1 und 3 des § 12 VwGG 1965 zu verstehenden Regelung hat der Gesetzgeber einem übereinstimmenden Urteilsakt und Willensakt der aus dem Vorsitzenden, dem Berichter und dem rangältesten Mitglied bestehenden Mehrheit des regelmäßig zuständigen Fünfersenates die Wirkung verliehen, daß damit eine Veränderung in der Zusammensetzung des zuständigen Senates, nämlich die Verringerung der Mitgliederzahl auf diese drei Mitglieder eintritt.
Der Umstand, daß bei einer solchen in der Veränderung der Zusammensetzung eines richterlichen Spruchkörpers bestehenden Zuständigkeitsregelung im Einzelfall Organen (Organwaltern) der Vollziehung eine Mitwirkung zukommt, verstößt nicht gegen die den gesetzlichen Richter betreffenden verfassungsrechtlichen Regelungen.