JudikaturVfGH

B37/79 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
03. Dezember 1979

Der VfGH geht davon aus, daß auch ein - dem Ereignis der Versammlung notwendigerweise nachfolgender - Strafbescheid geeignet ist, dieses Grundrecht zu verletzen (vgl. auch das Erk. 8159/1977) . Denn die Verhaltensanordnung in den materiellen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes und die darauf bezogenen verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionsnormen bilden im Hinblick auf die Möglichkeit einer Beschränkung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Freiheitssphäre eine Einheit. Die Rechtsordnung gebietet ein bestimmtes menschliches Verhalten "indem sie an das gegenteilige Verhalten einen Zwangsakt als Sanktion knüpft" (Kelsen, Reine Rechtslehre 2, S. 121 in Verbindung mit 15 f.) .

Eine Verletzung der durch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Versammlungsfreiheit begründeten Freiheitssphäre des einzelnen kann sowohl dadurch eintreten, daß die Behörde die grundrechtlich gestattete Handlung unmöglich macht, als auch dadurch, daß sie eine solche Handlung zum Anlaß der Verhängung einer Strafsanktion nimmt.

Der VfGH hat wohl in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß das Recht der Versammlungsfreiheit, welches durch Art. 12 StGG unmittelbar gewährleistet ist, erst durch das Versammlungsgesetz eine nähere Ausführung erhalten hat, weshalb jede Verletzung des VersammlungsG, die in die Versammlungsfreiheit eingreift, einen unmittelbaren Eingriff in das durch Art. 12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht bedeutet (vgl. Slg. 2311/1952, 4524/1963) . Hieraus hat der VfGH weiters abgeleitet, daß die Beantwortung der Frage der richtigen Anwendung des VersammlungsG 1953 in die ausschließliche Zuständigkeit des VfGH fällt (vgl. Slg. 2610/1953, 4524/1963) . Diese Aussagen beziehen sich aber nur auf die spezifische Gewährleistung des Versammlungsrechtes durch Art. 12 StGG. Allein auf diese Verfassungsbestimmung vermag sich der Bf. als Ausländer nicht zu berufen. Für ihn kommt nur Art. 11 MRK zum Tragen, der allen Menschen das Recht gewährleistet, sich friedlich zu versammeln, dem einfachen Gesetzgeber aber die Beschränkung der Ausübung dieses Rechtes zu bestimmten, in {Europäische Menschenrechtskonvention Art 11, Art. 11 Abs. 2 MRK} taxativ aufgezählten Zwecken gestattet. Ein solches unter Gesetzesvorbehalt stehendes Grundrecht wird nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nur verletzt, wenn der Bescheid unter Heranziehung einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage erlassen wurde oder wenn er gesetzlos ist, wobei die denkunmögliche Anwendung eines Gesetzes ebenfalls als Gesetzlosigkeit angesehen wird.

Wie der VfGH wiederholt ausgesprochen hat, ist die Zusammenkunft mehrerer Personen dann als eine Versammlung i. S. des VersammlungsG zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Manifestation usw.) zu bringen (vgl. Slg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966) .

Wird eine Gruppe von Menschen, die sich auf Grund eines Ereignisses angesammelt hat, durch die Agitation eines Sprechers zu einem demonstrativen Zusammenwirken veranlaßt, so daß der beteiligte Personenkreis Sprechchöre veranstalte, so ist es jedenfalls denkmöglich, eine solche Manifestation, die mit einem bestimmten Ziel betrieben wird, als Versammlung i. S. des VersammlungsG zu bewerten.

Die anwesenden Sicherheitsorgane, welche von den Vortragsveranstaltern um Schutz gegen Störaktionen ersucht worden waren, waren berufen, die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung eines ungestörten Verlaufes des Vortrages zu treffen und insbesondere legitimiert, die nach dem VersammlungsG nicht angemeldete und demnach nicht zulässige Versammlung gemäß § 14 Abs. 1 VersammlungsG 1953 aufzulösen. Da der Bf., wie der angefochtene Bescheid ausführt, dennoch den Versammlungsort nicht sogleich verlassen hat, konnte die Behörde denkmöglich gemäß § 19 VersammlungsG 1953 vorgehen und den Bf. wegen einer Übertretung des § 14 Abs. 1 VersammlungsG 1953 bestrafen.

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