B444/77 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Voraussetzung für das Einschreiten von Organen der Bundespolizeidirektion Wien war, daß die Vollziehung dieser gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 B-VG} in Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern zukommenden Angelegenheit durch Landesgesetz der Bundespolizeibehörde übertragen war. Nun überträgt Art. VIII EGVG diese Angelegenheit innerhalb ihres örtlichen Wirkungsbereiches den Bundespolizeibehörden. Die These der Beschwerde, die Wendung "oder in Orten, für die eine Bundespolizeibehörde besteht, von dieser" sei durch Art. XI Abs. 1 der B-VG-Nov. 1974, BGBl. 444, nicht - als Landesgesetz - mit übergeleitet worden, ist unrichtig. Die gemäß § 4 Abs. 2 des dort bezogenen V-ÜG 1920 als Landesgesetze weitergeltenden bundesgesetzlichen Bestimmungen würden nur dann durch § 6 dieser Übergangsbestimmung abgeändert gelten, wenn ihr Inhalt - als Landesgesetz - mit den Zuständigkeitsbestimmungen des B-VG in Widerspruch stünde. Davon kann angesichts der Möglichkeit der Übertragung von Angelegenheiten der Landesvollziehung an Bundesorgane (Art. 97 Abs. 2, Art. 102 Abs. 6 B-VG) nicht die Rede sein. Daß auf diese Weise den Ländern eine Vollziehungskompetenz zugewiesen, gleichzeitig aber (in erster Instanz) wieder die Zuständigkeit einer Bundesbehörde angeordnet worden ist, verschlägt nichts. Es fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, daß mit der Änderung auf Verfassungsebene eine unmittelbare Änderung der einfachgesetzlichen Rechtslage verbunden sein sollte, die nicht durch zwingende Verfassungsbestimmungen geboten war. Das Ziel der Verfassungsnovelle ist durch die Übertragung der Kompetenz zur Gestaltung der Rechtslage erreicht. Eine Zustimmung der Bundesregierung i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 97, Art. 97 Abs. 2 B-VG} erübrigte sich schon deshalb, weil der Übertragung nicht ein Gesetzesbeschluß des Landtages, sondern die Verfassungsbestimmung des Art. XI B-VG-Nov. 1974 zugrundeliegt. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Übertragung durch ein Landesgesetz angesichts der Sondervorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 Abs. 6 B-VG} und der Eigenart der übertragenen Aufgabe der Zustimmung der Bundesregierung überhaupt bedürfte.
Verhaftung durch § 35 lit. c VStG gedeckt (Übertretung nach Art. VIII EGVG i. d. F. BGBl. 232/1977 und nach Art. IX Abs. 1 Z 2 EGVG gleicher Fassung) . Nach der Rechtsprechung des VwGH ist (störender Lärm dann ungebührlicherweise erregt, wenn das Verhalten jene Rücksichtnahme vermissen läßt, die die Umwelt verlangen kann (vgl. z. B. VwGH 25. März 1969, 1614/68) , wobei die Lärmdurchlässigkeit des Gebäudes zulasten desjenigen geht, der den Lärm verursacht (VwGH 22. Oktober 1974, 1683/73) , und liegt ungestümes Benehmen vor, wenn die jedem Bürger zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts zufolge des Tones, der Gestik oder beider zusammen als agressives Verhalten gedeutet werden muß (z. B. VwGH 18. Juni 1974, 1246/73) . I. S. der Rechtsprechung des VfGH reicht aber die Vertretbarkeit der rechtlichen Beurteilung aus (Slg. 7987/1977) . Da der Bf. trotz (neuerlicher) Abmahnung durch fortgesetztes Schreien und Gestikulieren in der Fortsetzung dieses Verhaltens verharrte, war seine Festnahme gerechtfertigt. Die Dauer seiner Anhaltung hat auch nicht das für die durchgeführten (zahlreichen) Amtshandlungen erforderliche Maß überschritten.
Da der VfGH unter dem Blickwinkel des Rechtes auf persönliche Freiheit die Gesetzmäßigkeit einer Verhaftung schlechthin zu prüfen hat, wird mit der Behauptung, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein, ausschließlich die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht. Eine Abtretung der Beschwerde an den VwGH kommt also insoweit nicht in Betracht (Slg. 8076/1977) . Die festgestellte Gewaltanwendung ist jedoch (anders als die behauptete Beschimpfung) möglicher Gegenstand der Überprüfung durch den VwGH. Auch soweit sich die Beschwerde gegen das - nicht als Hausdurchsuchung zu wertende - Eindringen in die Wohnung des Bf. wendet, muß sie antragsgemäß dem VwGH abgetreten werden.
Daß unangemessene Ausdrucksweisen oder Beschimpfungen (Gebrauch des "Du-Wortes" , "dreckiger Ausländer") als solche keine Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt und Zwangsgewalt darstellen, bedarf keiner näheren Begründung. Der Umstand, daß sie bei Gelegenheit oder aus Anlaß der Ausübung behördlicher Befehlsgewalt und Zwangsgewalt gebraucht wurden, ändert daran nichts.
Auch in solchen Fällen sind beleidigende Ausdrücke (abgesehen von ihrer disziplinären Beurteilung) nur als strafbare Handlungen gegen die Ehre erfaßbar (§§ 115 ff. in Verbindung mit {Strafgesetzbuch § 313, § 313 StGB}) . Es mag zwar unter besonderen Umständen sein, daß ein diese Qualifikation an sich nicht erfüllendes behördliches Verhalten erst wegen der damit verbundenen (etwa der Verwirklichung bestimmter Ziele dienenden) beleidigenden Angriffe zur Ausübung von Befehlsgewalt und Zwangsgewalt wird. Ein solcher Fall liegt indessen nach dem Beschwerdevorbringen hier nicht vor.
Ob die festgestellte Gewaltanwendung das zur Überwindung des Widerstandes des Bf. notwendige Maß überschritten hat, kann dahingestellt bleiben. Wie der VfGH wiederholt ausgesprochen hat, würde dieser Umstand allein keine Verletzung des durch {Europäische Menschenrechtskonvention Art 3, Art. 3 MRK} verbürgten Rechtes bedeuten. Gegen das Verbot erniedrigender Behandlung verstoßen derartige physische Zwangsakte vielmehr nur dann, wenn ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist (vgl. Slg. 8145 und 8146/1977 und 8296/1978) . Die nach Vorwarnung versetzten ein oder zwei Schläge auf den Oberarm oder die Schulter und das Festhalten am Stiegengeländer bedeuten jedenfalls unter den festgestellten Umständen noch keine solche Mißachtung.