§ 24 Arbeiterkammergesetz - AKG, BGBl. 105/1954, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Sowohl die Arbeiterkammern als auch der Österreichische Arbeiterkammertag sind Kammern i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG}.
Beide Einrichtungen fallen unter den umfassenderen Begriff der gesetzlichen beruflichen Vertretungen, wie er in Art. 141 Abs. 1 lit. a B-VG verwendet ist. Bei diesen handelt es sich um organisatorische Einrichtungen zur Wahrung der Interessen der durch eine gleichgerichtete und gleichgeartete Berufsausübung zusammengeschlossenen Personengruppen (siehe Slg. 1936/1950) .
Die Arbeiterkammern und der Arbeiterkammertag sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes (§ 1 Abs. 2 AKG) . Zum Wesen solcher Körperschaften gehört es, daß sie von der Rechtsordnung als juristische Person anerkannte Personengemeinschaften sind. Werden berufliche Vertretungen als Körperschaften öffentlichen Rechts eingerichtet, so sind Substrat des Rechtsträgers die Berufsangehörigen, zu deren Vertretung die Körperschaft bestimmt ist, oder mit anderen Worten: einer beruflichen Vertretung gehören jene Personen an, denen der Gesetzgeber wegen ihrer beruflichen Tätigkeit die Mitgliedschaft zu dieser Berufsvertretung zuerkennt (Slg. 5368/1966) . Die Arbeiterkammern und der Arbeiterkammertag sind Träger der beruflichen Selbstverwaltung und als solche Selbstverwaltungskörper (vgl. z. B. Slg. 2073/1950, 2670/1954, 8215/1977) .
Der vom VfGH vorgefundene Begriff der "Kammern für Arbeiter und Angestellte" umfaßte Kammern und Kammertag als Selbstverwaltungskörper, deren leitende Organe von diesen Selbstverwaltungskörpern selbst bestellt wurden. Mit dieser Organisationsform, die nicht bloß die rechtstechnische Gestaltung betrifft, hat also das B-VG den Bestand der Kammern für Arbeiter und Angestellte vorausgesetzt. Das B-VG hat mit der Verwendung des vorgefundenen Begriffes der "Kammern für Arbeiter und Angestellte" zugleich normiert, daß derartigen Selbstverwaltungskörpern die - autonome - Bestellung ihrer leitenden Organe zukommt. Die dargelegte Regelung steht mit der in der Lehre herausgebildeten und gefestigten Rechtsauffassung in Einklang, daß die Befugnis zur Bestellung der Organe dem Begriff der Selbstverwaltung - wie sie die österreichische Rechtsordnung versteht - innewohnt. Auch bei dem einzigen im B-VG selbst näher geregelten Selbstverwaltungskörper, nämlich bei den Gemeinden (siehe dazu {Bundes-Verfassungsgesetz Art 116, Art. 116 Abs. 1 B-VG} i. d. F. BGBl. 205/1962) ist die Bestellung der Gemeindeorgane unbeschadet der Zuständigkeit überörtlicher Wahlbehörden ausdrücklich dem eigenen Wirkungsbereich zugewiesen ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 1 B-VG}) .
Die Aufgaben und Befugnisse des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Arbeiterkammertages sind im AKG in § 24 sowie im Zusammenhang mit der Führung des Vorsitzes im Vorstand und in der Hauptversammlung des Arbeiterkammertages in den §§ 25 und 26 geregelt. Sie sind nicht darauf beschränkt, die jedem Vorsitzenden in einem Kollegialorgan notwendigerweise zukommende besondere Bedeutung (vgl. dazu Slg. 7911/1976) zu konkretisieren, sondern gehen darüber hinaus. Sie sind auch nicht nur im Zusammenhang mit dem dem Arbeiterkammertag gemäß § 22 AKG obliegenden Wirkungsbereich zu sehen, sondern haben ein besonderes Gewicht infolge der dem Arbeiterkammertag nach zahlreichen anderen Gesetzen übertragenen zusätzlichen Aufgaben ( Mitwirkungsrechte, Vorschlagsrechte, Nominierungsrechte, Anhörungsrechte udgl.) erhalten. Nach der dargelegten Verfassungsrechtslage müssen jedenfalls Organe des Arbeiterkammertages mit solchen entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen, wie sie dem Präsidenten des Arbeiterkammertages zukommen, von dem Selbstverwaltungskörper selbst - autonom - bestellt werden.
Als Präsident des Arbeiterkammertages und dessen gesetzlicher Vertreter wird durch den angefochtenen § 24 AKG der Präsident der Arbeiterkammer für Wien bestimmt. Formal betrachtet wird somit - da sowohl der Arbeiterkammertag als auch die Arbeiterkammer für Wien eigene Selbstverwaltungskörper sind - der Präsident des Arbeiterkammertages nicht autonom bestellt, sondern es wird in diese Organstellung vom Gesetz der Präsident eines anderen Selbstverwaltungskörpers berufen. Der Sache nach wird - da sich der zentrale Selbstverwaltungskörper "Arbeiterkammertag" aus den für je ein Bundesland bestehenden Selbstverwaltungskörpern "Arbeiterkammern " zusammensetzt - kraft Gesetzes der nach den Bestimmungen des § 13 AKG von der Vollversammlung der Arbeiterkammer für Wien aus deren Mitte - mittelbar also von den wahlberechtigten Dienstnehmern dieser Kammer nach den Bestimmungen des § 8 AKG - gewählte Präsident der Arbeiterkammer für Wien zugleich Präsident der beruflichen Vertretung aller den neun Arbeiterkammern angehörenden Dienstnehmer. Mit dieser Regelung ist aber eine - auch nur mittelbare - Einflußmöglichkeit der den acht Arbeiterkammern außerhalb Wiens angehörenden Dienstnehmer auf die Bestellung des Präsidenten des Arbeiterkammertages als der ihre Interessen im gesamten Bundesgebiet oder in mehreren Bundesländern gemeinsam betreffenden zentralen beruflichen Vertretung (§ 22 AKG) ausgeschlossen.
Mit der im AKG getroffenen Regelung wird im Ergebnis für die als Selbstverwaltungskörper eingerichtete und das gesamte Bundesgebiet umfassende berufliche Vertretung "Österreichischer Arbeiterkammertag " von Gesetzes wegen - auf Dauer - ein nur von den kammerangehörigen Dienstnehmern des Bundeslandes Wien - mittelbar - gewählter Präsident bestellt. Die Basis der demokratischen Legitimation dieses Präsidenten ist somit (bezogen auf die rechtstechnische Struktur des Arbeiterkammertages als Zusammensetzung aller Arbeiterkammern) auf die kammerangehörigen Dienstnehmer eines einzigen der insgesamt neun Bundesländer und (bezogen auf die vom Arbeiterkammertag vertretenen Dienstnehmer des ganzen Bundesgebietes) auf eine Minderheit von weniger als einem Drittel eingeschränkt. Da der Präsident des Arbeiterkammertages als ein mit den dargelegten entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen ausgestattetes Organ dieser Körperschaft die Interessen der Dienstnehmer des ganzen Bundesgebietes (also auch der nun 72,16 % der Wahlberechtigten der anderen acht Bundesländer) zu vertreten hat, entbehrt diese Einschränkung der sachlichen Rechtfertigung.
Der Umstand, daß es zweckmäßig ist, die Geschäfte des das ganze Bundesgebiet umfassenden Arbeiterkammertages am Sitze der Zentralstellen des Bundes zu führen, kann die verfassungsrechtliche Beurteilung der für die Bestellung des Präsidenten getroffenen gesetzlichen Regelung nicht beeinflussen.
a) Diesbezüglich sei, was die Funktion des Präsidenten betrifft, bemerkt: Wenn die Funktionen des Präsidenten des Arbeiterkammertages und des Präsidenten der Arbeiterkammer für Wien nicht kraft Gesetzes miteinander verbunden sind, muß die Möglichkeit berücksichtigt werden, daß auch der Präsident einer anderen Arbeiterkammer zur Funktion des Präsidenten des Arbeiterkammertages berufen wird. Da die Kumulierung der Aufgaben des Präsidenten des Arbeiterkammertages mit den Aufgaben des Präsidenten der Arbeiterkammer für Wien (als der bei weitem größten aller Arbeiterkammern) arbeitsmäßig offenbar durchaus praktikabel ist, müßte bei der räumlichen und bevölkerungsmäßigen Struktur Österreichs und den heutigen verkehrstechnischen und nachrichtentechnischen Gegebenheiten auch die Kumulierung mit den Aufgaben des Präsidenten einer anderen ( gegenüber der Wiener wesentlich kleineren) Arbeiterkammer durchaus durchführbar sein.
b) Was den Geschäftsapparat betrifft, sei bemerkt: Nach der im Verfahren erstatteten Äußerung der Bundesregierung sind im Kammeramt der Arbeiterkammer für Wien derzeit rund 100 fachlich qualifizierte Konzeptskräfte (davon 80 mit abgeschlossener Hochschulbildung) vorwiegend mit Kammertagsagenden befaßt und werden diese dabei von einer annähernd gleichen Zahl von Kanzleikräften und sonstigen Hilfskräften unterstützt. Durch organisatorische Maßnahmen ließe sich sicherstellen, daß es durch die Inanspruchnahme von Dienstnehmern der Arbeiterkammer für Wien für Geschäfte des Arbeiterkammertages, auch wenn dieser einen anderen Präsidenten als den der Arbeiterkammer für Wien hätte, nicht zu den von der Bundesregierung für zwangsläufig gehaltenen Kollisionen käme.
Für die Frage, welche Auswirkungen auf das Verfahren vor dem VfGH eine Wahl des Nationalrates nach Einbringung eines Antrages durch ein Drittel seiner Mitglieder hat, ist weder im B-VG noch im VerfGG 1953 eine ausdrückliche Regelung enthalten. Insbesondere fehlt eine dem § 80 Abs. 3 VerfGG 1953 (wonach das Anklageverfahren nach Art. 142 und 143 B-VG durch den Ablauf der Gesetzgebungsperiode des eine Anklage erhebenden Vertretungskörpers nicht gehindert wird) entsprechende Bestimmung; dennoch gilt nach Auffassung des VfGH für das auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates geführte Gesetzesprüfungsverfahren ein Gleiches. Mit Rücksicht darauf, daß dem Verfassungsgesetzgeber zugesonnen werden muß, er habe das von ihm der parlamentarischen Minderheit eingeräumte Recht, ein Gesetzesprüfungsverfahren bezüglich eines auf dem Beschluß der parlamentarischen Mehrheit beruhenden Gesetzes beim VfGH zu beantragen, auch wirkungsvoll gestalten wollen, muß der getroffenen Regelung der Inhalt beigemessen werden, daß die verfahrensrechtlichen Wirkungen eines rechtmäßig gestellten Antrages unabhängig von der Gesetzgebungsperiode des betreffenden Vertretungskörpers sind.
Andernfalls hinge es von dem zeitlichen Ablauf des Verfahrens vor dem VfGH ab, ob ein von der parlamentarischen Minderheit gestellter Antrag auch zu einer Entscheidung führt: es könnten nicht nur solche Anträge, die innerhalb jenes Zeitraumes vor Ablauf der Gesetzgebungsperiode gestellt werden, der regelmäßig für die Durchführung eines Verfahrens benötigt wird, nicht bis zu einer Entscheidung geführt werden, sondern es wäre auch nicht auszuschließen, daß Umstände arbeitstechnischer Natur oder Umstände, die mit der arbeitsmäßigen Bewältigung der Verfahren zusammenhängen, eine Entscheidung vor Ablauf der Gesetzgebungsperiode und damit eine Entscheidung überhaupt verhindern.
Unter Berücksichtigung dieses Umstandes ist der VfGH der Auffassung, daß aus der sonst allgemein geltenden verfahrensrechtlichen Regel, wonach es bei Beurteilung des Vorliegens der Prozeßvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Entscheidung ankommt (vgl. Slg. 4992/1965) und insbesondere in sinngemäßer Anwendung der §§ 6 und 7 ZPO der Mangel der Legitimation zur Antragstellung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl. Slg. 4046/1961) , für einen Fall wie den vorliegenden nichts abgeleitet werden kann. Bei einem Gesetzesprüfungsverfahren, das auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates durchgeführt wird, handelt es sich um ein Verfahren sui generis, in dem sich die Prüfung der Legitimation auf den Zeitpunkt der Antragstellung zu beziehen hat. Auf die Folgen, die sich aus dieser Rechtsauffassung für das weitere Verfahren ergeben, etwa in der Frage einer späteren Zurückziehung des Antrages oder einer Änderung der Bevollmächtigung, war im vorliegenden Fall nicht einzugehen.
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