JudikaturVfGH

B513/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
03. Oktober 1979

Für die Beurteilung der Frage, ob die Organe der Bundespolizeidirektion Wien bei der Festnahme der Bf. einen Tatverdacht nach § 215 StGB vertretbarerweise annehmen konnten, ist der Sachverhalt zugrundezulegen, der den einschreitenden Organen im Zeitpunkte der Festnahme der Bf. bekannt war und deren Vorgehen veranlaßte. Ausgehend davon, daß unter Zuführen i. S. des § 215 StGB ein Tätigwerden zu verstehen ist, das darauf abzielt, das Opfer mittels gezielter Einflußnahme zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht zu veranlassen, so daß dessen Lebensführung in jene einer Prostituierten umgewandelt wird, ergibt sich, daß keine Anhaltspunkte für einen solchen Tatverdacht vorlagen. Alle Informationen, die den Organen der Bundespolizeidirektion Wien im Zeitpunkte ihres Einschreitens nach Inhalt der Akten vorlagen, waren nur darauf abgestellt, daß in der Wohnung der Bf. gewerbsmäßige Unzucht geübt wird; nirgendwo wurde ein Verdacht geäußert, daß jemand i. S. des {Strafgesetzbuch § 215, § 215 StGB} der gewerbsmäßigen Unzucht zugeführt wird. Auch die Wahrnehmungen während des Einschreitens der Organe der Bundespolizeidirektion Wien bieten keine Grundlage für die Annahme, daß die Bf. auf frischer Tat betreten worden ist. Die Zurverfügungstellung einer Wohnung ist - für sich allein - keinesfalls eine Zuführungshandlung i. S. der genannten Gesetzesstelle. Da nach der Aktenlage gegen die Bf. eine Anzeige nach {Strafgesetzbuch § 214, § 214 StGB} erstattet wurde, hat der VfGH sich auch mit der Frage befaßt, ob nach den Kenntnissen der einschreitenden Organe im Zeitpunkte der Festnahme der Bf. ein Verdacht nach dieser Gesetzesstelle, die mit "Entgeltliche Förderung fremder Unzucht" überschrieben ist, vertretbar war. Auch dies ist jedoch zu verneinen.

Nach § 214 StGB - dieser entspricht § 221 Abs. 1 der RV zum StGB - ist strafbar, wer eine Person der Unzucht mit einer anderen Person zuführt, um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Wohl kannte die RV als § 221 Abs. 2 noch ein zweites Tatbild der Förderung fremder Unzucht, nämlich die Förderung von Zusammenkünften, an denen eine größere Zahl von Personen zum Zweck der Unzucht teilnimmt, um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Als Tathandlung für diesen zweiten Deliktfall kam vor allem das Zurverfügungstellen der erforderlichen Räumlichkeiten in Betracht. Während § 221 Abs. 1 der RV in Form des § 214 StGB Gesetz geworden ist, fand der in § 221 Abs. 2 der RV umschriebene Tatbestand in das Strafgesetzbuch keinen Eingang. Zu {Strafgesetzbuch § 214, § 214 StGB} führen Leukauf-Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch ( 1. Aufl.) , S. 966, aus, "daß das bloße Gewähren des Unterstandes, wenn sonst keine tatbildliche Tätigkeit im Sinne des Zuführens entwickelt wird" , das Tatbild dieser Gesetzesstelle nicht erfüllt.

In den Umständen, die den Organen der bel. Beh. im Zeitpunkte der Festnahme der Bf. nach der Aktenlage bekannt waren, findet ein solcher Tatverdacht ebenfalls keine Deckung. Dem VfGH sind somit keine Umstände ersichtlich, die den Organen der bel. Beh. nach deren Kenntnissen im Zeitpunkte der Festnahme der Bf. ein Einschreiten gemäß § 177 in Verbindung mit {Strafprozeßordnung 1975 § 175, § 175 StPO} erlaubt hätte.

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