JudikaturVfGH

B339/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
19. Juni 1979

Rechtmäßige Verhaftung (§ 35 lit. c VStG 1950; Art. VIII Abs. 1 lit. a erster Satz) .

Der VfGH hält die Anhaltung der Bf. bis zum Zeitpunkt, als sich alles beruhigt hatte, für gerechtfertigt.

Für den nachfolgenden Zeitraum und für das nachfolgende Geschehen findet sich für das Vorgehen der Behörde jedoch keine sachliche Rechtfertigung. Die Bf. wurden von den einschreitenden Organen ab ca. 3 Uhr in Arrestzellen verwahrt und erst um ca. 7 Uhr wieder auf freien Fuß gesetzt. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich nichts anderes als diese Tatsache, insbesondere keinerlei Hinweis darauf, daß ein Verhalten der Bf. den Verdacht gerechtfertigt hätte, daß die Bf. ein strafbares Verhalten fortgesetzt hätten oder daß für eine begründete Sorge Anlaß bestanden hätte, daß die Bf. ein strafbares Verhalten wiederholen würden. Die Bf. wurden auch weder vernommen noch hat die Behörde sonstige Schritte, welche die Vornahme der Anhaltung als notwendig erweisen konnten, gesetzt. Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, daß i. S. des § 36 VStG ab 3 Uhr ein Grund für die weitere Anhaltung der Bf. nicht mehr bestand, so daß diese unverzüglich freizulassen gewesen wären.

Der VfGH hält die Annahme, daß das Verhalten der Bf. den Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG 1950 erfüllt hat, für vertretbar und sohin die Voraussetzungen des § 35 lit. c VStG bei der Festnahme der Bf. für gegeben. Die Bf. haben den ihnen verweigerten Zutritt in die Diskothek "Arche Noah" zum Anlaß dafür genommen, sich im Stiegenabgang niederzusetzen und durch dieses Verhalten und die nachfolgenden verbalen Auseinandersetzungen mit dem Besitzer des Lokales bewirkt, daß eine Mehrzahl von Gästen sich veranlaßt fühlte, gegen sie Stellung zu beziehen. Zu berücksichtigen ist, daß sich die Bf. in einer Gruppe von Freunden und Bekannten befanden, die sich ebenfalls im Stiegenabgang zu dem genannten Lokal linksseitig und rechtsseitig an der Mauer niedergelassen hatten. Der Tatbestand einer Ordnungsstörung nach Art. VIII Abs. 1 lit. a erster Satz EGVG 1950 (in der damals geltenden Fassung) ist nach der Rechtsprechung des VwGH erfüllt, wenn durch ein Verhalten ein Zustand hergestellt wird, der der Ordnung, wie sie an einem öffentlichen Ort gefordert werden muß, widerspricht (vgl. VwSlg. 7815 A/1970 u. a. . Die Bf. wurden von den einschreitenden Gendarmerieorganen bei Setzung dieses Sachverhaltes und somit auf frischer Tat betreten. In der Aufforderung der Gendarmerieorgane, die Stiege zu verlassen, war für die Bf. unverkennbarerweise eine Abmahnung gelegen, von der Fortsetzung ihres strafbaren Verhaltens Abstand zu nehmen. Da die Bf. in ihrem Benehmen verharrten, konnten die einschreitenden Gendarmerieorgane die Voraussetzungen des § 35 lit. c VStG als erfüllt erachten und war die Festnahme der Bf. gerechtfertigt. Bei diesem Ergebnis ist es unerheblich, ob die Gendarmeriebeamten eine Festnahme förmlich aussprachen.

Der VfGH hält in Anbetracht der am Ort des Einschreitens bestehenden Umstände - immerhin hatte sich eine größere Menschengruppe bereits angesammelt - auch für gerechtfertigt, daß die Bf. zur weiteren Amtshandlung mit dem Funkstreifenwagen auf den Gendarmerieposten gebracht wurden und daß erst dort die Personalien der Bf. aufgenommen wurden. Berücksichtigt man weiters, daß der Funkstreifenwagen nochmals zur Diskothek "Arche Noah" fuhr, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung sei und vorher die Bekannten und Freunde der Bf., welche inzwischen zum Gendarmeriepostenkommando gekommen waren und vor diesem warteten, wegschickte, stand um 3 Uhr fest, daß sich alles beruhigt und die Lage geklärt habe. Der VfGH hält die Anhaltung der Bf. bis zu diesem Zeitpunkt für gerechtfertigt.

Der VfGH hat wiederholt ausgesprochen (vgl. Slg. 8145/1977, 8146/1977) , daß auch die als eine gegenüber dem Waffengebrauch weniger gefährliche Maßregel eingestufte Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse, die sich als Mittel zur Überwindung eines auf die Vereitlung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes und zur Erzwingung einer Festnahme vom Waffengebrauch selbst nur graduell unterscheidet, derselben grundsätzlichen Einschränkung wie der Waffengebrauch unterliegt. Zur Erreichung der vom Gesetz vorgesehenen Zwecke darf auch die Anwendung von Körperkraft nur dann Platz greifen, wenn sie notwendig ist und maßhaltend vor sich geht, daß sie aber dann, d. h. unter diesen Voraussetzungen wie der Waffengebrauch selbst, keineswegs gegen Art. 3 MRK verstößt. Der VfGH hat weiters ausgesprochen, daß nicht jede unzulässige Anwendung von Körperkraft - zwingend - auch Art. 3 MRK verletzt, sondern daß gegen das im {Europäische Menschenrechtskonvention Art 3, Art. 3 MRK} statuierte Verbot " erniedrigender Behandlung" physische Zwangsakte vielmehr nur dann verstoßen, wenn qualifizierend hinzutritt, daß ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist. Dies trifft auf den festgestellten Sachverhalt nicht zu.

Die einschreitenden Gendarmeriebeamten haben den Bf. Trappel wohl an den Haaren erfaßt und hiedurch zum Aufstehen gezwungen, dieser Zwangsakt ist jedoch aus der Sicht der örtlichen Situation zu beurteilen, wobei auch das Verhalten des Bf. zu berücksichtigen ist.

Da der Bf. Trappel in einem Stiegenabgang saß, waren für das einschreitende Gendarmerieorgan die Möglichkeiten der Anwendung von Körperkraft begrenzt und insbesondere ein Unterfassen und Tragen des Bf. für den Gendarm S physisch nicht möglich. Nachdem der Bf. zum Aufstehen gebracht worden war, wurde er ebenso wie auch der Bf. Pfeifer durch Schieben und Stoßen zum Gendarmerieauto gebracht und, da er passiven Widerstand leistete, mit ähnlicher Gewaltanwendung in den Funkstreifenwagen gebracht. Nichts deutet darauf hin, daß die einschreitenden Organe bei Anwendung der Körperkraft Handlungen gesetzt hätten, welche die Eignung besitzen, die Menschenwürde eines so Behandelten zu beeinträchtigen. Dies trifft auch auf die Personsdurchsuchung des Bf. Trappel im Gendarmeriepostenkommando zu.

Die Anordnung der Entkleidung erfolgte zwecks Vornahme der Personsdurchsuchung, weil der Verdacht entstanden war, daß er allenfalls Rauschgift bei sich haben könnte. Hierin kann eine Verletzung der Menschenwürde des Bf. Trappel nicht erblickt werden.

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