JudikaturVfGH

B266/77 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
12. Juni 1979

Die Mitwirkung des Generalprokurators im Verfahren vor der Obersten Berufungskommission und Disziplinarkommission ist in § 49 Abs. 4 und § 50 Abs. 2 Disziplinarstatut geregelt. Diese Vorschriften legt die bel. Beh. offenbar so aus, daß sie berechtigt (oder verpflichtet) sei, dem Generalprokurator vor der Verhandlung den Akt samt dem Erledigungsentwurf des Berichterstatters zur Einsicht (und allfälligen Stellungnahme) zu übermitteln. Ein solcher Inhalt kommt dem Gesetz aber keineswegs zu. Eine Bestimmung dieser Art verstieße vielmehr gegen das Gleichheitsgebot: Die Aufgabe des Generalprokurators im Rechtsmittelverfahren gegen Entscheidungen des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Daß er aber nicht bloß eine beratende Stellung innehat, folgt schon daraus, daß ihm ausdrücklich die Befugnis eingeräumt ist, Mitglieder der Kommission abzulehnen (§ 55 e Abs. 3 DSt) . Da er zur mündlichen Verhandlung auch dann zu laden ist, wenn die Berufung nicht vom Oberstaatsanwalt ({Disziplinarstatut 1990 § 47, § 47 Abs. 1 Z 3 DSt}) , sondern vom Kammeranwalt erhoben wurde, der nicht nur die Anklage ({Disziplinarstatut 1990 § 24, § 24 DSt}) sondern offenkundig auch seine eigene Berufung selbst zu vertreten hat, ist allerdings anzunehmen, daß der Generalprokurator nicht notwendig die Funktion des Anklägers innehat.

Es mag also sein, daß er auch nicht schlechthin als der prozessuale Gegner des Beschuldigten anzusehen ist. Selbst für diesen Fall wäre es aber mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar, einer Behörde, die immerhin zum Nachteil des Beschuldigten auf ein gerichtsförmig gestaltetes Disziplinarverfahren Einfluß nehmen kann, die dem Beschuldigten vorenthaltene Kenntnis des Entwurfes der Entscheidung zu verschaffen. Sie würde damit in die Lage versetzt, auf die Willensbildung der erkennenden Behörde einen gezielteren und damit nachhaltigeren Einfluß ausüben als der Beschuldigte. Ihr solches zu ermöglichen, gibt es jedenfalls in diesem Stadium des Verfahrens keinen sachlichen Grund. Es ist keine Funktion des Generalprokurators im Disziplinarverfahren ersichtlich, die es auch nur nahelegen würde, ihm in diesem Zeitpunkt einen wesentlichen Informationsvorsprung einzuräumen.

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