JudikaturVfGH

B366/77 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
07. März 1979

Nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Die bel. Beh. hat die Ansicht vertreten, daß sich die Eheleute K noch vor Beendigung der Unfallsaufnahme durch die Organe der Bundesgendarmerie von der Unfallstelle entfernt hätten; insbesondere sei die körperliche und geistige Eignung des Otto K zum Lenken eines Kraftfahrzeuges noch nicht festgestellt gewesen. Diese Annahme der Behörde ist nicht denkunmöglich. Der VwGH hat inzwischen mit Erk. vom 13. Feber 1978, Z 2248/1977, die von Otto K erhobene Beschwerde abgewiesen und den ihn betreffenden Schuldspruch der Behörde bestätigt. Auch wenn der VwGH mit dem Verena K betreffenden Erk. vom 4. Juli 1978, Z 2219/1977, ausgesprochen hat, daß Verena K keine Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 getroffen habe, wird damit keine denkunmögliche Gesetzesanwendung der bel. Beh. in bezug auf den Bf. nachgewiesen; es war nämlich zum Zeitpunkt, als die bel. Beh. den beim VfGH angefochtenen, den Bf. betreffenden Bescheid erließ, denkmöglich anzunehmen, daß auch Verena K das Tatbild nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 objektiv verwirklicht habe. Es war sohin jedenfalls nicht denkunmöglich anzunehmen, daß die Eheleute K eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begangen haben und daß der Bf. sie hiezu angestiftet und ihnen die Begehung dieser Verwaltungsübertretung erleichtert hat.

Die Annahme der bel. Beh., daß § 9 Abs. 1 und 2 Rechtsanwaltsordnung den Bf., der Rechtsanwalt ist, nicht berechtigen, den Eheleuten K ein dem § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 widerstreitendes Verhalten zu empfehlen und ihnen die Begehung dieser Verwaltungsübertretung zu erleichtern, ist nicht ausgeschlossen. Es ist vielmehr eine denkmögliche Gesetzesanwendung, wenn dem Bf. ein Rechtfertigungsgrund nicht zugebilligt wurde, da {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 9, § 9 RAO} einen Rechtsanwalt nicht zu einem Handeln berechtigt, durch welches objektiv das Tatbild einer Verwaltungsübertretung verwirklicht wird (vgl. VwGH 22. April 1976, 1905/75, ZfVB 1976/3/435; 28. April 1976, 144/76, ZfVB 1976/3/436) .

Dem auf Verfassungsstufe stehenden Art. 6 Abs. 2 MRK zufolge wird bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Dieses Verfassungsgebot kommt hier aber überhaupt nicht zum Tragen: Nach § 7 VStG 1950 unterliegt, wer vorsätzlich veranlaßt, daß ein anderer eine Verwaltungsübertretung begeht oder wer vorsätzlich einem anderen die Begehung einer Verwaltungsübertretung erleichtert, der auf diese Übertretung gesetzten Strafe, und zwar auch dann, wenn der unmittelbare Täter selbst nicht strafbar ist. Die Behörde hatte sohin als Hauptfrage lediglich zu beurteilen, ob der Bf. der Anstiftung oder Beihilfe an einer durch die Eheleute K begangenen Übertretung des § 4 StVO 1960 schuldig sei; dieser Schuldspruch setzte die Feststellung voraus, ob das Tatbild des § 4 StVO 1960 von Otto und Verena K objektiv verwirklicht worden war. Diese Frage hatte die Behörde, die über die Schuld des Bf. zu urteilen hatte, bloß als Vorfrage zu lösen. Sie hatte also nur über die Schuld des Bf. zu befinden, nicht aber über die Schuld der Eheleute K zu urteilen.

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