JudikaturVfGH

G77/78 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
19. Dezember 1978

Dem Antrag, aus der Verordnung vom 25. November 1853, RGBl. 249, in Art. V Z. 4 die Anführung des Ortsnamens "Hainburg" als verfassungswidrig aufzuheben, wird nicht Folge gegeben.

Die Verordnung RGBl. 249/1853 hat eine Regelung über die Festlegung des Umfanges der örtlichen Zuständigkeit von Gerichten, in Art. V des Sprengels des Landesgerichtes Wien zum Inhalt ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 1 B-VG}) . Diese Verordnung ist durch § 1 Überleitungsgesetz 1920 in die bundesstaatliche Rechtsordnung übergeleitet worden und steht daher seit dem 10. November 1920 als Vorschrift auf der Stufe eines (einfachen) Bundesgesetzes in Geltung.

In dem Zeitpunkt, in dem die Verordnung RGBl. 249/1853 als Bundesgesetz in Wirksamkeit getreten ist, umfaßte der Sprengel des Landesgerichtes Wien die im Gebiet der Stadt Wien gelegenen und darüber hinaus auch die übrigen in der Bestimmung angeführten Bezirksgerichtssprengel. Alle diese Sprengel gehörten zum damaligen Gebiet des Bundeslandes Niederösterreich. Eine Änderung am Umfang des Sprengels des Landesgerichtes Wien ist durch das am 1. Jänner 1922 in Kraft getretene Abtrennungsgesetz, LGBl. für das Land NÖ 346/1921, womit ein selbständiges Bundesland Wien gebildet wurde, nicht eingetreten. Es bestand keine verfassungsrechtliche Bestimmung, mit der die Regelung, nach der der Sprengel des Landesgerichtes Wien sowohl die im Gebiet des neu gebildeten Bundeslandes Wien (mit dem sich auch das Gebiet der Gemeinde Wien und des politischen Bezirkes Wien deckt) gelegenen als auch die im Gebiet des Bundeslandes NÖ gelegenen Bezirksgerichtssprengel umfaßt hat, in Widerspruch gestanden wäre.

Der Oberste Gerichtshof ist der Auffassung, daß durch das Inkrafttreten des § 8 Abs. 3 lit. d ÜG 1920 (Z. 1 lit. d) an dieser Rechtslage eine Änderung eingetreten und die Regelung über den Sprengel des Landesgerichtes Wien, soweit dieser außerhalb des Gebietes des Bundeslandes Wien gelegene Bezirksgerichtssprengel umfasse, verfassungswidrig geworden sei. Er begründet seine Auffassung im besonderen damit, daß nach der Regelung des § 8 Abs. 5 lit. d ÜG 1920 unter den Begriff "Gerichtsbezirke" die Sprengel nicht nur der Bezirksgerichte, sondern aller Gerichte zu verstehen seien und daß die Grenzen der Sprengel aller dieser Gerichte, somit auch die der Gerichtshöfe erster Instanz die Landesgrenzen nicht schneiden dürften.

Die Bestimmung des § 8 Abs. 5 ÜG 1920 wurde durch das B-VG vom 30. Juli 1925, womit einige Bestimmungen des ÜG abgeändert werden ( Übergangsnovelle) , BGBl. 269, geschaffen. Nach dem Einleitungssatz haben die in dieser Vorschrift enthaltenen Bestimmungen für die Verwaltung in den Ländern bis zu dem Zeitpunkt zu gelten, in dem die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern durch das nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 120, Art. 120 B-VG} zu erlassende B-VG und die Ausführungsgesetze hiezu geregelt ist. Unter dem in diesem Einleitungssatz niedergelegten Gesichtspunkt bildet die Bestimmung des § 8 Abs. 5 ÜG 1920 eine in sich geschlossene Regelung, in deren Rahmen auch der Inhalt der Bestimmung des § 8 Abs. 5 lit. d und die darin verwendeten Begriffe zu beurteilen sind. Im Hinblick auf die für die Verwaltung in den Ländern getroffene Regelung ist der VfGH der Auffassung, daß durch § 8 Abs. 5 lit. d das Verhältnis der Sprengel der untersten Organisationseinheit der politischen Verwaltung in den Ländern, somit der politischen Bezirke als Sprengel der Bezirkshauptmannschaften, die zu einer Landesbehörde geworden sind (vgl. die Ausführungen in den Erläuterungen zu § 3 der Übergangsnov. Vorlage der Bundesregierung 326 Blg. NR 2. GP) , zu den Sprengeln der untersten Organisationseinheit im Bereich der Gerichtsbarkeit, somit zu den Sprengeln der Bezirksgerichte, die Bundesbehörden geblieben sind, geregelt wurde. Der in dieser Bestimmung verwendete Begriff "Bezirk" umfaßt daher keinesfalls über den Bereich eines Landes hinausgehende Gebiete oder Gebietsteile. Im Hinblick darauf sind unter dem im § 8 Abs. 5 lit. d verwendeten Begriff "Gerichtsbezirke" nur die Sprengel der Bezirksgerichte zu verstehen, zu deren Änderung im Wege einer Verordnung der Bundesregierung nach dem letzten Satz des § 8 Abs. 5 lit. d die Zustimmung der Landesregierung erforderlich ist. Im übrigen folgt dies auch aus dem Umstand, daß im letzten Satz des § 8 Abs. 5 lit. d ÜG lediglich von Bezirksgerichten - und nicht auch von Gerichten höherer Stufen - die Rede ist. Da nach diesen Ausführungen von der Regelung des § 8 Abs. 5 lit. d ÜG 1920 nur die Sprengel der Bezirksgerichte, nicht aber die Sprengel anderer Gerichte umfaßt sind, steht die Regelung, nach der derzeit der Sprengel des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien auch den Sprengel des Bezirksgerichtes Hainburg umfaßt, mit der angeführten Verfassungsbestimmung nicht in Widerspruch.

Der Bestimmung des Abschnittes A, Z 7, Z 1 lit. a der Blg. I der Verordnung RGBl. 288/1849 ist bezüglich der Nennung des Ortsnamens "Hainburg" durch Art. V Z 4 der Verordnung RGBl. 249/1853 (Z. 1 lit. b) derogiert worden.

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