B512/78 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Keine Bedenken gegen § 4 Vlbg. Sittenpolizeigesetz. Diese gesetzliche Regelung entspricht dem an den Gesetzgeber gerichteten Determinierungsgebot des Art. 18 B-VG. Das Gesetz überläßt es nicht dem subjektiven Verständnis des einzelnen Vollzugsorganes, was es unter "Unzucht" verstehe. Es erfaßt vielmehr lediglich die Prostitution im herkömmlichen Sinn, somit die gewerbsmäßige Hingabe des eigenen Körpers an andere Personen zu deren geschlechtlicher Befriedigung. Insbesondere werden auch die Tatbestandsmerkmale der Gewerbsmäßigkeit und des Anbietens vom Gesetzgeber in einer nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 B-VG} ausreichenden Weise definiert. Das SittenpolizeiG regelt in seinem § 4 ausschließlich solche Arten der Ausübung der Prostitution, die in der Öffentlichkeit bemerkbar sind. Die Gewerbsmäßigkeit der Ausübung bringt es nämlich notwendigerweise mit sich, daß sie der Öffentlichkeit gegenüber in Erscheinung tritt (vgl. Slg. 8272/1978 . Diese Bestimmung fällt daher unter die Regelungsmaterie " Sittlichkeitspolizei" i. S. des Art. 118 Abs. 3 B-VG (Slg. 7960/1976) . Die Sittlichkeitspolizei fällt in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} (Slg. 7960/1976). Der Vlbg. Landesgesetzgeber war daher zur Regelung zuständig. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Sittlichkeitspolizei nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 B-VG} (in Vollziehung) in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt und daher - soweit keine landesgesetzliche Regelung vorhanden ist - die Gemeinden diese Angelegenheiten durch ortspolizeiliche Verordnungen nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 6 B-VG} regeln können. Daraus ergibt sich, daß § 4 SittenpolizeiG nur solche Formen der Prostitution erfaßt, die der Öffentlichkeit gegenüber in Erscheinung treten und daß das Gesetz die dem Schutz des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 8, Art. 8 MRK} unterliegende Privatsphäre gar nicht berührt (vgl. Slg. 8272/1978) . Wenn die Bf. mit ihrem Vorbringen, es verstoße gegen den Gleichheitssatz, wenn nur "bei Frauen, die sich auf der Straße aufhalten, angenommen werde, sie täten dies in der Absicht der Anbahnung von Beziehungen zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht, Männer mit demselben Verhalten aber unbehelligt blieben" , einen Vorwurf gegen den Gesetzgeber erheben will, genügt es, sie auf das Erk. Slg. 7965/1976 zu verweisen; darin hat der VfGH eine unterschiedliche Regelung der Prostitution, je nachdem, ob sie von Frauen oder von Männern ausgeübt wird, für sachlich gerechtfertigt erachtet. Es kann sohin unerörtert bleiben, ob das SittenpolizeiG die von Männern ausgeübte Prostitution erfaßt oder nicht.
Gemäß § 4 Abs. 1 SittenpolizeiG ist u. a. das Anbieten zur gewerbsmäßigen Unzucht verboten und nach § 18 Abs. 1 lit. c leg. cit strafbar. Es ist nicht denkunmöglich, wenn die Behörden aufgrund der Anzeigen des Stadtamtes Feldkirch, wonach Beamte der Stadtwache die Bf. beobachtet hätten, wie sie in einer für Prostituierte typischen Art auf der Straße auf- und abgegangen sei, angenommen haben, sie tue dies in der Absicht, Kunden zur Ausübung der Prostitution anzulocken. Es ist ebensowenig denkunmöglich, darin ein Anbieten zur gewerbsmäßigen Unzucht zu erblicken und anzunehmen, daß die Bf. das Tatbild nach § 4 Abs. 1 SittenpolizeiG erfüllt habe.