G28/78 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Antrag auf Aufhebung A) aus dem Bundesgesetz vom 13. Dezember 1977, BGBl. 645/1977: 1) aus der durch dessen Abschnitt I (Einkommensteuergesetz 1972) , Art. I Z 4 gegebenen Fassung des {Einkommensteuergesetz 1972 § 14, § 14 EStG 1972} a) im Abs. 1, erster Satz, die Worte "bis zu 50 von Hundert" sowie "auf Grund gesetzlicher Anordnung oder auf Grund eines Kollektivvertrages" , b) den Abs. 4 zur Gänze, c) im Abs. 7 den 1. und 2. Satz zur Gänze, 2) den Art. II zur Gänze, 3) aus dem durch Abschnitt I (EStG 1972) Art. I Z 11 neu eingeführten § 20 a EStG die Absätze 1, 2, 4, 5, 6 und 8 zur Gänze, 4) aus Abschnitt I (EStG 1972) Art. 4 die in Z 4, 5 und 6 enthaltenen dazugehörigen Bestimmungen zur Gänze, 5) den durch Abschnitt II (Körperschaftsteuergesetz 1966) , Art. I Z 5 neu geschaffenen § 16 a KStG 1966, betreffend Sonderbestimmungen für bestimmte Kraftfahrzeuge zur Gänze, 6) aus der durch Abschnitt VI (UStG 1972) Art. I Z. 7 gegebenen Fassung des {Umsatzsteuergesetz 1972 § 12, § 12 UStG 1972} in Abs. 2 Z 2 lit. c die Worte "Personenkraftwagen, Kombinationskraftwagen oder" , 7) die durch Abschnitt VI (UStG 1972) Art. I Z 9 bewirkte Neufassung des {Umsatzsteuergesetz 1972 § 13, § 13 UStG 1972} zur Gänze und 8) aus Abschnitt VI Art. II im Absatz 2 die Worte "und 9" ; B) aus dem Bundesgesetz vom 13. Juli 1955, BGBl. 148 (Bewertungsgesetz 1955) den § 6 Abs. 1.
a) Die Antragsausführungen gehen in erster Linie davon aus, daß nach § 4 BAO der Abgabenanspruch mit der Verwirklichung des Tatbestandes entsteht, an den das Gesetz die Abgabenpflicht knüpft, daß die Steuerschuld also unabhängig von ihrer bescheidmäßigen Festsetzung und Fälligkeit entsteht. Es trifft wohl zu, daß die Abgabenpflicht grundsätzlich nach der Sachlage und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu beurteilen ist. Die Verpflichtung zur Entrichtung der Abgabe tritt aber - von Selbstbemessungsabgaben abgesehen - erst mit der Erlassung eines Bescheides ein. Nicht das Abgabengesetz greift aktuell in die Rechtssphäre des Abgabenpflichtigen ein, sondern erst der auf Grund des Gesetzes erlassene Abgabenbescheid. Damit ist aber bereits das Schicksal der Anträge besiegelt, soweit sie sich auf die durch das 2. Abgabenänderungsgesetz geänderten bzw. neu eingefügten Bestimmungen des EStG 1972 und des KStG 1966 sowie auf die dazugehörenden Übergangsbestimmungen des 2. AbgabenänderungsG beziehen: Die sich auf Grund der angefochtenen diesbezüglichen Gesetzesbestimmungen ergebenden Abgabepflichten bedürfen einer Aktualisierung durch Bescheide (Einkommensteuerbescheide und Körperschaftsteuerbescheide nach {Einkommensteuergesetz 1972 § 39, § 39 EStG 1972} und § 23 KStG 1966 sowie Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheide und Körperschaftsteuer-Vorauszahlungsbescheide nach {Einkommensteuergesetz 1972 § 45, § 45 EStG 1972} und § 23 KStG 1966) (vgl. hiezu Slg. 7917/1976 und den - allerdings eine Marktgebühr betreffenden - Beschluß des VfGH Slg. 8064/1977) .
Auch der von den Antragstellern erwähnte Sicherstellungsauftrag nach {Bundesabgabenordnung § 232, § 232 BAO} ist ein Bescheid. Er - und nicht etwa unmittelbar das Gesetz - aktualisiert die Aufgabenpflicht. Er ist Voraussetzung für eine sicherungsweise Vollstreckungshandlung nach § 78 der Abgabenexekutionsordnung. Alle diese Bescheide können von den Antragstellern nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges beim VwGH und beim VfGH mit Beschwerden nach Art. 131 und 144 B-VG bekämpft werden. In der VwGH-Beschwerde kann die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages, in der VfGH-Beschwerde die Einleitung eines amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahrens angeregt werden. Es ist den Antragstellern durchaus zumutbar, die aufgezeigten Rechtswege zu beschreiten, um sich gegen die angeblich rechtswidrigen angefochtenen oben erwähnten Gesetzesbestimmungen zur Wehr zu setzen.
Die wirtschaftlichen Härten, die die Antragsteller allenfalls in Kauf nehmen müssen, sind nicht außergewöhnlich; sie sind nicht größer als jene, die sie auf sich nehmen müßten, um einen lediglich im Bereiche der Vollziehung liegenden Fehler zu rügen. Die Behauptung der Antragsteller, die angefochtenen Bestimmungen hätten Auswirkungen auf die sie betreffenden behördlichen Preisfestsetzungen, weist gleichfalls keinen unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller nach: Wenn bei der behördlichen Festsetzung von Preisen auf die bezahlten oder zu zahlenden Steuern Rücksicht genommen wird, stellen sich die Steuern allenfalls als zu berücksichtigender Kostenfaktor (also Sachverhaltselemente) dar, der im preisbehördlichen Bescheid oder in der preisbehördlichen Verordnung seinen Niederschlag findet. Keinesfalls entfaltet also eine Steuervorschrift im Zusammenhang mit einer allfälligen Preisfestsetzung den Antragstellern gegenüber unmittelbare Rechtswirkungen.
b) Auch der mit den beiden Anträgen bekämpfte § 6 Abs. 1 BewG 1955 wirkt nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragsteller ein.
Auch diese Bestimmung bedarf zu ihrer aktuellen Wirksamkeit einer Mediatisierung des Gesetzes durch Bescheid, nämlich - bezogen auf die Antragsteller - einer bescheidmäßigen Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens (§§ 57-68 BewG 1955 und §§ 185-193 BAO) .
Erst ein solcher Einheitswertbescheid kann aktuell die Rechtssphäre der Antragsteller berühren. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung eines solchen Bescheides vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts haben die Antragsteller die bereits oben aufgezeigte rechtliche, ihnen auch in diesem Zusammenhang durchaus zumutbare Möglichkeit, die von ihnen angenommene Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Gesetzesstelle zu rügen. Wenn die Antragsteller ausführen, daß die Vermögenssteuer faktisch vielfach schon vor Zustellung des Einheitswertbescheides vorgeschrieben wird, so weisen sie - auch wenn diese Behauptung den Tatsachen entspricht - nicht die Unmittelbarkeit des Eingriffes des § 6 Abs. 1 BewG 1955 nach, da auch diesfalls die Aktualisierung dieser Gesetzesbestimmung (möglicherweise rechtswidrig) durch Bescheid - nicht aber durch das Gesetz selbst - erfolgt.
c) Soweit sich die Anträge auf die durch das 2. AbgabenänderungsG geänderten Bestimmungen des UStG 1972 und auf die dazugehörende Übergangsbestimmung des 2. AbgabenänderungsG bezieht, ist den Antragstellern folgendes zu erwidern: § 12 Abs. 2 Z 2 lit. c und {Umsatzsteuergesetz 1972 § 13, § 13 UStG 1972} können zwar die Rechtssphäre der Antragsteller aktuell berühren. Diese haben nämlich zunächst gemäß {Umsatzsteuergesetz 1972 § 21, § 21 Abs. 1 UStG 1972} die Umsatzsteuer monatlich (allenfalls nach § 21 Abs. 2 vierteljährlich) selbst zu berechnen und entsprechende Vorauszahlungen zu leisten, ohne daß ein Bescheid vorausgehen müßte.
Hiebei haben sie gegebenenfalls die bekämpften Vorsteuerabzugs- Bestimmungen zu beachten. Die Rechtsordnung bietete den Antragstellern aber jedenfalls folgenden Weg zur Abwehr der behaupteten, durch die angebliche Verfassungswidrigkeit der bekämpften Bestimmungen des UStG 1972 bewirkten Rechtsverletzung: Nach § 23 Abs. 3 UStG 1972 hat das Finanzamt die Vorauszahlung u. a. dann bescheidmäßig festzusetzen, wenn - nach Meinung des Finanzamtes - der Unternehmer die Vorauszahlung in einer Voranmeldung nicht richtig berechnet hat. Der Antragsteller kann durch die fristgerechte Abgabe einer seiner Rechtsauffassung entsprechenden Voranmeldung, in der er die maßgebenden Umstände dem {Bundesabgabenordnung § 119, § 119 BAO} entsprechend vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt, in die Lage kommen, einen Festsetzungsbescheid nach § 23 Abs. 3 leg. cit. zu erwirken. Diesen Bescheid kann er nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG} beim VfGH und nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 131, Art. 131 B-VG} beim VwGH bekämpfen. In der Beschwerde an den VfGH kann er die amtswegige Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 12 Abs. 2 Z 2 lit. c und des {Umsatzsteuergesetz 1972 § 13, § 13 UStG 1972} und in der Beschwerde an den VwGH die Stellung eines Antrages auf Prüfung der zitierten Gesetzesstelle anregen (vgl. Ott, Der Individualantrag nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 Abs. 1 B-VG} im Bereich der Umsatzsteuer, Zeitschrift für Gebühren und Verkehrssteuern 1978/4, S. 1 ff.) . Dieser Weg wäre für die Antragsteller durchaus zumutbar.
Er würde für sie keine außergewöhnliche Härte mit sich bringen.
Insbesondere würden sie sich bei dem oben geschilderten Vorgehen nicht der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen (vgl. den zitierten Artikel von Ott) . Die Antragsteller müßten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich für sie ergeben, wenn sie den aufgezeigten Weg beschreiten, auch in jenen Fällen in Kauf nehmen, in denen sie die - im Bereiche der Vollziehung liegende - Rechtswidrigkeit von Steuerbescheiden rügen wollten. Von einer " Erdrosselungsgefahr" für die Antragsteller kann unter den gegebenen Umständen keine Rede sein.
d) Keine der angefochtenen Gesetzesbestimmungen greift also unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragsteller ein.