JudikaturVfGH

B369/77 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
22. September 1978

Kein Betreten auf frischer Tat i. S. des § 35 VStG 1950.

Voraussetzung für die Zulässigkeit der Festnehmung einer Person ist in allen dem § 35 VStG 1950 zu unterstellenden Fällen, daß das einschreitende Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Person "auf frischer Tat betritt" , d. h., daß die Person eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begeht und bei Begehung dieser Tat vom Sicherheitsorgan betreten wird. Auf frischer Tat wird eine Person nur dann betreten, wenn das Organ die Begehung unmittelbar wahrnimmt, ohne daß etwa zur Feststellung der Tat Erhebungen notwendig sind oder aus - wenngleich selbst wahrgenommenen Tatsachen - erst Schlüsse auf die Begehung der Tat durch diese Person gezogen werden müssen; wer bloß im Verdacht steht, eine strafbare Tat begangen zu haben, wird nicht auf frischer Tat betreten (vgl. z. B. Slg. 7252/1974, 7309/1974, 7829/1976) . Im vorliegenden Fall hat der einschreitende Gendarmeriebeamte wohl selbst wahrgenommen, daß der Bf. alkoholisiert war, nicht aber, daß er in diesem Zustand einen PKW in Betrieb genommen und damit eine Verwaltungsübertretung nach § 5 StVO 1960 begangen hat; er hat diese Inbetriebnahme nur - wenngleich auf Grund durchaus einleuchtender Überlegungen - erschlossen. Der klare Wortlaut des § 35 VStG 1950 läßt es nicht zu, unter den geschilderten Umständen die Festnehmung des Bf. auf diese Gesetzesbestimmung zu gründen. Ob § 35 VStG 1950 rechtspolitisch voll befriedigend ist, hat der VfGH nicht zu beurteilen.

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