JudikaturVfGH

G67/77 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
26. Januar 1978

§ 6 Abs. 1 Z 1 und 2 des Vermögenssteuergesetzes 1954, BGBl. 192, i. d. F. BGBl. 665/1976, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die aufgehobenen Bestimmungen sind auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden.

§ 6 Abs. 1 Z 1 und 2 des VermStG 1954, BGBl. 192, treten in der Stammfassung wieder in Kraft.

Die Vermögensteuer beträgt jährlich 1 v. H. des steuerpflichtigen Vermögens (§ 8 VermStG) und steht somit grundsätzlich in einem bestimmten - gleichbleibenden - Verhältnis zum tatsächlichen Vermögen des Steuerpflichtigen. Wird der Besteuerung einer Kapitalgesellschaft ein bestimmtes Mindestvermögen ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse zugrundegelegt, so werden Gesellschaften geringeren Vermögensstandes im Ergebnis mit einem höheren Satz besteuert. Die durch die Nov. 1976 festgelegte Mindestbesteuerung unterstellt das Zehnfache des für die Gründung einer Gesellschaft nach den §§ 6 Abs. 1 GesmbHgesetz und 7 Abs. 1 Aktiengesetz als Stammkapital oder Grundkapital erforderlichen Betrages, wodurch sich der Steuersatz für Gesellschaften mit der mindestzulässigen Kapitalausstattung tatsächlich bis auf 10 % erhöht. Erleidet eine Gesellschaft Verluste, die ihr Vermögen unter den handelsrechtlich festgelegten Betrag herabmindern, so steigt der Satz noch wesentlich an. Allerdings war schon vor der Nov. 1976 nach § 6 Abs. 1 VermStG der Besteuerung solcher Gesellschaften ein Mindestvermögen zugrundezulegen. Es betrug für Aktiengesellschaften eine Million und für Gesellschaften mbH 100.000 Schilling und stimmte daher mit dem zur Gründung erforderlichen Kapitalsbetrag überein. Diese Regelung hat der VfGH im Erk. Slg. 3308/1958 über Beschwerde einer GesmbH bereits für unbedenklich erachtet. Er hat aus diesem Anlaß ausgeführt, auch dem österreichischen Gesetzgeber könne das sachlich einwandfreie Ziel des rezipierten deutschen VermStG 1934 unterstellt werden, einen Anreiz zur Aufgabe der anonymen Form und zur Fortführung des Geschäftes unter eigener voller Verantwortung als Einzelkaufmann oder Personengesellschaft zu bieten und langwierige Ermittlungen über die Höhe des Vermögens entbehrlich zu machen. Aus diesem Erkenntnis ergibt sich aber nur, daß der Gerichtshof die Einrichtung einer Mindestbesteuerung für Kapitalgesellschaften an sich nicht für unzulässig erachtet hat. Ob eine solche Regelung mit dem für den Gesetzgeber verbindlichen Gleichheitssatz auch dann vereinbar ist, wenn das unterstellte Vermögen über das für die Schaffung der juristischen Personen Erforderliche hinausgeht, war damals nicht zu prüfen.

In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der Nov. 1976 (335 BlgNR, 14. GP) wird darauf hingewiesen, daß das handelsrechtliche Mindestkapital trotz der Veränderungen im Wirtschaftsleben und der Entwicklung des Geldwertes keinerlei Anhebung erfahren habe. Es erscheine "vor allem aus steuerpolitischen Gründen angebracht, schon im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Kapitalgesellschaften solche Werte als Mindestvermögen zu unterstellen, wie es den wirtschaftlichen und damit auch den steuerlichen Erfordernissen der Gegenwart entspricht.

" Sofern sich die Unterstellung auf die einzelne Kapitalgesellschaft beziehen soll, vermag der VfGH dem nicht zu folgen. Nichts läßt die Annahme zu, die tatsächliche Kapitalausstattung der in Rede stehenden Gesellschaften sei allgemein derart gestiegen, daß ein Mindestvermögen von ein oder zehn Millionen Schilling die Regel bilde und eine ihm entsprechende Besteuerung nur in vernachlässigbaren Ausnahmefällen zu Härten führen würde, von welchen der Gesetzgeber bei Durchschnittsbetrachtung absehen dürfte. Aus eben diesem Grunde scheiden auch verwaltungsökonomische Gründe zur Rechtfertigung der erhöhten Mindestbesteuerung aus. Die Bundesregierung verweist wohl darauf, daß die Rechtsform der Kapitalgesellschaften einen erheblichen Zuwachs an Bedeutung erfahren habe, die in der Anzahl der Betriebe und in den Nominalkapitalien ihren Niederschlag finde. Es sei bloß eine dieser Bedeutung entsprechende steuerliche Leistungsfähigkeit unterstellt worden. In der Regel werde die Steuerlast aus Gewinnen getragen und liege der Einheitswert des Betriebsvermögens trotz seiner die Steuerpflichtigen begünstigenden Bewertung über dem Wert des Eigenkapitals. Der Gerichtshof kann jedoch nicht erkennen, daß die zu prüfenden Gesetzesstellen bestehende Unterschiede in der steuerlichen Leistungsfähigkeit berücksichtigen. Die von der Bundesregierung ins Treffen geführten Umstände zeigen nicht an, daß die einzelne Kapitalgesellschaft, deren tatsächliches Vermögen hinter dem im Gesetz unterstellten Betrag zurückbleibt, leistungsfähiger ist als ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft gleicher Kapitalausstattung, oder daß ihre Steuerkraft die vermögensstärkeren Kapitalgesellschaften - verhältnismäßig betrachtet - übersteigt. Eine unterschiedliche Besteuerung läßt sich damit nicht begründen.

Der VfGH hat unter Hinweis auf steuerliche Maßnahmen dargelegt (Slg. 2088/1951) und in der Folge ständig daran festgehalten (Slg. 6665/1972 und die dort zitierte Judikatur sowie Slg. 7380/1974) , daß der Gleichheitsgrundsatz grundsätzlich auch juristischen Personen gegenüber zu beachten ist.

Wie in den Einleitungsbeschlüssen betont wurde, ist der Gesetzgeber nicht an ein von ihm selbst geschaffenes Ordnungssystem gebunden (Slg. 4379/1963, 4753/1964, 5481/1967, 5862/1968, 6030/1969, 6471/1971 und 6854/1972) ; nur muß die abweichende Regelung als solche sachlich gerechtfertigt sein (Slg. 7331/1974) . Es steht dem Gesetzgeber also frei, unerwünschte Arten von Kapitalgesellschaften oder eine für nachteilig erachtete Tätigkeit solcher Unternehmen trotz deren Zulässigkeit auch durch eine höhere Besteuerung hintanzuhalten. Der Gerichtshof vermeint allerdings, daß die vergleichsweise höhere Besteuerung der Gesellschaften mit geringerem Vermögen mit dem allfälligen Ziel eines Gläubigerschutzes in keinem sachlichen Zusammenhang steht und eine Mindestbesteuerung dieser Art nur in Übereinstimmung mit den rechtlichen Erfordernissen für den Bestand oder wenigstens das Entstehen der Gesellschaft noch gerechtfertigt werden kann. Der dagegen von der Bundesregierung vorgebrachte Hinweis auf umgestellte Gesellschaften, deren Besteuerung schon vor der Novelle ein Mindestvermögen der doppelten Höhe des von § 16 Abs. 1 und 2 Schillingeröffnungsbilanzgesetz geduldeten Mindestkapitals zugrundegelegt wurde, ist nicht stichhältig, weil diese handelsrechtliche Ausnahmevorschrift eine Übergangsregelung im Interesse der bestehenden Gesellschaften ist, auf die bei einer Dauerregelung nicht Bedacht zu nehmen war. Die Zahl der unter diesem Gesichtspunkt der Mindestbesteuerung unterworfen gewesenen Fälle ist daher für die Frage der Rechtfertigung der Neuregelung ohne Bedeutung.

Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 Abs. 7 B-VG} ist ein aufgehobenes Gesetz auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles weiterhin anzuwenden, sofern der VfGH nichts anderes ausspricht. Wie aus den erst nach Durchführung des Gesetzesprüfungsverfahrens verhandlungsreif gewordenen Verfahren und inzwischen beim VfGH eingelangten Beschwerden hervorgeht, liegt noch eine größere Anzahl von Fällen vor, die in letzter Instanz unter Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen bereits entschieden wurden, ohne daß der VfGH in die Lage käme, sie in ein Prüfungsverfahren einzubeziehen. In anderen Verfahren haben die Behörden - wie sich aus gleichfalls bereits vorliegenden Beschwerden ergibt - mit dem Hinweis auf das fortgeschrittene Stadium des Gesetzesprüfungsverfahrens die Berufungsentscheidung wegen der zu erwartenden Klärung der strittigen Frage gemäß {Bundesabgabenordnung § 281, § 281 BAO} ausgesetzt. Bei dieser Sachlage sieht sich der VfGH veranlaßt, die Anwendung des Gesetzes auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände i. S. der genannten Verfassungsbestimmung auszuschließen. Der von der Bundesregierung erhobene Einwand, es würden dadurch jene Abgabepflichtigen benachteiligt, deren endgültige Abgabenfeststellungen bereits in Rechtskraft erwachsen sind, muß außer Betracht bleiben, weil dies die regelmäßige Folge eines solchen Ausspruchs ist und der Gerichtshof dann die ihm eingeräumte Befugnis niemals wahrnehmen könnte.

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