G11/77 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
§ 1 Abs. 1 erster Satz, § 2 Z 5 sowie die §§ 4, 5, 7, 8, 11, 12, 18, 25 und 30 der als Verordnung erlassenen, mit Art. II der Jagdgesetznov. 1970, LGBl. 42, als landesgesetzliche Vorschrift in Geltung gesetzten Satzung der Slbg. Jägerschaft, LGBl. 89/1957 i. d. F. der Kundmachungen LGBl. 63/1960, 98/1965, 126/1966, 141/1966, 47/1967 und 89/1968, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
Die "Salzburger Jägerschaft" ist als Selbstverwaltungskörperschaft eingerichtet; ihre Organe unterliegen daher nicht dem Weisungsrecht staatlicher Organe.
Eine Regelung, die Selbstverwaltung und die für sie essentielle Weisungsfreiheit der Organe des Selbstverwaltungskörpers gegenüber Staatsorganen vorsieht, ist unter dem Blickwinkel der geltend gemachten Bedenken nicht verfassungswidrig: a) Der VfGH hat es in seiner ständigen Rechtsprechung als verfassungsrechtlich zulässig erachtet, daß der einfache Gesetzgeber berufliche Interessenvertretungen als Selbstverwaltungskörper einrichtet (vgl. z. B. Slg. 2500/1953, 2073/1950 und 2654/1954, betreffend die Handelskammern; Slg. 2073/1950 und 2670/1954, betreffend die Arbeiterkammern; Slg. 2072/1950, betreffend die Landwirtschaftskammern; Slg. 2776/1954, betreffend die Landarbeiterkammern; Slg. 2902/1955, 3290/1957, 7903/1976, betreffend die Rechtsanwaltskammern; Slg. 3618/1959, betreffend die Apothekerkammer; Slg. 3994/1961, betreffend die Kammer der Wirtschaftstreuhänder; Slg. 4413/1963 und 7270/1974, betreffend die Ärztekammern; Slg. 6767/1972, betreffend die Notariatskammer; Slg. 3054/1956, betreffend die "berufliche Selbstverwaltung" im allgemeinen; Slg. 2073/1950 und 2670/1954, betreffend die "Kammern von Angehöriger freier Berufe") . Der VfGH hat dies im wesentlichen damit begründet, daß das B-VG in den Kompetenzartikeln seit jeher berufliche Interessenvertretungen erwähnt hat, die bereits im Jahre 1920 als Selbstverwaltungskörper bestanden. Er hat weiters in seiner bisherigen Judikatur auch gegen Selbstverwaltungskörperschaften, die keine beruflichen Interessenvertretungen sind, verfassungsrechtliche Bedenken nicht geäußert (vgl. z. B. Slg. 2635/1954, 3151/1957 und 6182/1970, betreffend die Steirische, die Kärntner und die Slbg. Jägerschaft; Slg. 7575/1975, betreffend die Österreichische Hochschülerschaft, die nach dem Erk. Slg. 6751/1972 keine gesetzliche berufliche Vertretung i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 141, Art. 141 B-VG} ist; Slg. 2333/1952, betreffend einen Fremdenverkehrsverband; Slg. 6495/1972 und 7402/1974, betreffend den Pflichtverband der Schilehrer im Lande Slbg.) . Der VfGH hat auch keine Bedenken gegen die "Autonomie der Sozialversicherungsträger" gehabt (Slg. 3708/1960) . Der VfGH bleibt bei seiner bisherigen Judikatur: b) In der Bundesverfassung ist von Selbstverwaltung nur im Zusammenhang mit den Gemeinden die Rede (§ 8 Abs. 5 lit. f des Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920; nunmehr Art. 115 ff. B-VG) .
Diese Bestimmungen wurden in die Bundesverfassung offenbar deshalb aufgenommen, um die gemeindliche Selbstverwaltung verfassungsrechtlich zu garantieren, nicht aber, um sie zu konstituieren (vgl. hiezu Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, 5. Teil, 1922, S. 228) .
Selbstverwaltung war dem Bundesverfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 auch über die Gemeinden und die Berufsvertretungen hinaus - also allgemein - bekannt. Der VfGH ist der Auffassung, daß der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 Selbstverwaltung als Organisationstechnik nicht bloß gekannt, sondern - als dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 B-VG} nicht entgegenstehend - auch vorausgesetzt und anerkannt hat.
Die Schaffung von Selbstverwaltungskörpern und damit von Organen, die gegenüber staatlichen Organen weisungsfrei sind, ist somit im Rahmen des Organisationsplans der Bundesverfassung gelegen. Die Einrichtung von Selbstverwaltung durch den einfachen Bundesgesetzgeber und Landesgesetzgeber ist sohin verfassungsrechtlich zulässig.
c) Die Auffassung, daß die Bundesverfassung den Gesetzgeber - stillschweigend - zur Einrichtung von Selbstverwaltung ermächtigt hat, würde sich dann als verfehlt erweisen, wenn die Grenzen zulässiger Selbstverwaltung nicht absteckbar wären; es ist nämlich offenkundig ausgeschlossen, daß die Bundesverfassung dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht eine schrankenlose Ermächtigung erteilt hat.
Solche Schranken sind indes vorhanden: Zunächst einmal darf Selbstverwaltung nur unter Beachtung des sich aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 7, Art. 7 B-VG} ergebenden Sachlichkeitsgebotes eingerichtet werden. Geboten war und ist die staatliche Aufsicht über die Organe der Selbstverwaltungskörperschaften hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ihrer Verwaltungsführung (vgl. z. B. Ringhofer, 3. ÖJT 1967, II/3, S. 37 ff.; Körner aaO, S. 66 ff.; Korinek, aaO, S. 7 ff.; Antoniolli, AVwR, S. 337, 340; Pernthaler, 3. ÖJT, S. 11 ff.) . Wenn der Verfassungsgesetzgeber als Selbstverwaltungskörper explizit nur die Gemeinden erwähnt, implizit aber auch nichtgemeindliche Selbstverwaltung anerkannt hat, liegt es nahe, zur Klärung der Frage nach den Grenzen zulässiger Selbstverwaltung durch andere Rechtsträger auf die Formulierung zurückzugreifen, die {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 B-VG} in Anlehnung an historische Vorbilder (Art. V Reichsgemeindegesetz) zur Umschreibung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde gebraucht. Daraus ergibt sich, daß einer Selbstverwaltungskörperschaft zur eigenverantwortlichen, weisungsfreien Besorgung nur solche Angelegenheiten überlassen werden dürfen, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der zur Selbstverwaltungskörperschaft zusammengefaßten Personen gelegen und geeignet sind, durch diese Gemeinschaft besorgt zu werden.
d) Vor dem Hintergrund des Gesagten erweist sich, daß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 Abs. 1 B-VG} nur für die - gleichgültig ob durch staatliche oder durch nichtstaatliche Organe ausgeübte - Bundesverwaltung und Landesverwaltung, nicht dagegen auch im Verhältnis zwischen unmittelbarer Staatsverwaltung und Selbstverwaltung gilt. Damit im Einklang steht, daß in der ursprünglichen Fassung des Art. 20 B-VG ausdrücklich nur von der Bundesverwaltung und Landesverwaltung die Rede war. Der Abs. 1 des Art. 20 B-VG erhielt seine heute geltende Fassung durch Art. I § 8 der B-VG-Nov. 1929. Nichts aus den Materialien zu dieser Novelle rechtfertigt die Annahme, daß durch diese Neuformulierung gegenüber Staatsorganen weisungsfreie Selbstverwaltung verboten werden sollte. Art. 20 Abs. 1 B-VG schließt daher nicht aus, daß der einfache Gesetzgeber die Vollziehung in Form der Selbstverwaltung einrichtet.