B158/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Verhängung einer Zwangsstrafe nach § 19 Abs. 3 AVG 1950 ist ein Zwangsmittel, das der Erfüllung der aus einer Ladung erfließenden Verpflichtung zum Erscheinen vor der Behörde dient; es handelt sich bei einer solchen Zwangsstrafe daher nicht um eine Strafe für eine Verwaltungsübertretung. Soweit der Bf. in seinen Ausführungen Grundsätze des Verwaltungsstrafverfahrens für verletzt erachtet, kann er damit für seinen Standpunkt nichts gewinnen. Das gilt auch für {Europäische Menschenrechtskonvention Art 7, Art. 7 MRK}.
Soll eine Person zur Erfüllung ihrer Verpflichtung, einer Ladung Folge zu leisten, durch eine Zwangsstrafe verhalten werden, so ist die Anwendung dieses Zwangsmittels gemäß § 19 Abs. 3 AVG 1950 nur zulässig, wenn es in der Ladung angedroht und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt worden war. Der Bf. war in dem Verfahren, in dem die Ladung erging, durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten; die Vollmacht erstreckte sich auch darauf, "die Zustellung von Klagen und von was immer für Namen habenden Verordnungen und Bescheiden anzunehmen" . Es war damit i. S. des § 26 Abs. 1 AVG 1950 eine im Inland wohnende Person zum Empfang der für den Bf. bestimmten Schriftstücke ermächtigt, so daß die Zustellung an diese zu erfolgen hatte. Wie der VwGH in dem Erk. eines verstärkten Senates Slg. 6634 A/1965 (und seither wiederholt u. a. Slg. 9206 A/1976) ausgeführt hat, gilt dies auch für Zustellungen, die "zu eigenen Handen" angeordnet waren. I. S. dieser Rechtsprechung konnte die bel. Beh. durchaus denkmöglich annehmen, daß der Zustellung des Beschuldigten-Ladungsbescheides vom 15. Juni 1972 an den im Verfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt Rechtswirksamkeit für den Bf. zukommt.
Auf Ersuchen des Anwalts des Bf. wurde die Verhandlung verlegt. Der Bf. ist zu diesem Termin nicht erschienen. Mit einem neuerlichen Ladungsbescheid, der mit dem angefochtenen Bescheid bestätigt worden ist, wurde angeordnet, daß die mit dem Beschuldigten-Ladungsbescheid vom 15. Juni 1972 angedrohte Zwangsstrafe vollzogen wird. Die Entscheidung über den angefochtenen Bescheid hängt somit von der Beantwortung der Rechtsfrage ab, welchen Einfluß die formlose Verlegung der Verhandlung auf die im Beschuldigten-Ladungsbescheid enthaltene Androhung der Zwangsstrafe hat: Ob die Androhung des Zwangsmittels durch die einvernehmliche Verlegung des Verhandlungstermins unberührt bleibt und sich nur auf den Fall bezieht, daß der Bf. bei der Verhandlung an dem einvernehmlich auf den 12. Juli verlegten Termin nicht erscheint oder ob dies für den Fall des Nichterscheinens bei der in der Ladung für den 10. Juli anberaumten Verhandlung erfolgte Androhung des Zwangsmittels mit der Verlegung dieser Verhandlung rechtlich bedeutungslos geworden und damit weggefallen ist (wie der VwGH in einem ähnlich gelagerten Fall im Erk. Slg. 9206 A/1976 angenommen hat) . Im ersten Fall läge noch eine wirksame Androhung einer Zwangsstrafe vor und könnte die angedrohte Zwangsstrafe auch vollzogen werden, im zweiten Fall wäre die Androhung wirkungslos geworden und könnte daher eine Zwangsstrafe nicht vollzogen werden. Die Rechtsauffassung der bel. Beh., daß die im Beschuldigten-Ladungsbescheid enthaltene Androhung einer Zwangsstrafe durch die einvernehmliche Terminverlegung nicht wirkungslos geworden ist, ist durchaus denkmöglich.