JudikaturVfGH

B388/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
06. Oktober 1977

a) Rechtmäßige Verhaftung und Verwahrung wegen Verdachts des Vergehens nach {Strafgesetzbuch § 269, § 269 Abs. 1 StGB}.

b) Rechtswidrige Verhaftung wegen Annahme des Verdachts des Vergehens nach {Strafgesetzbuch § 269, § 269 Abs. 1 StGB}.

c) Rechtswidrige Festnehmung nach {Verwaltungsstrafgesetz 1991 § 35, § 35 VStG} wegen unvertretbarer Annahme einer Übertretung nach Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG.

d) Rechtmäßige Festnehmung nach {Verwaltungsstrafgesetz 1991 § 35, § 35 VStG} (Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG) .

Das Tatbild der Verwaltungsübertretung nach Art. VIII Abs. 1 lit. a 1. Fall (i. d. F. vor der Nov. BGBl. 232/1977) ist nach der Rechtsprechung des VwGH (Slg. 2263 A/1951, 6581 A/1965, 7815 A/1970) durch zwei Elemente gekennzeichnet: Der Täter muß einmal ein Verhalten zeigen, das geeignet ist, bei einem normalempfindenden Menschen Ärgernis zu erregen; und zweitens muß durch dieses Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört, also ein Zustand hergestellt worden sein, welcher der Ordnung widerspricht, wie sie an einem öffentlichen Ort gefordert werden muß. Die Bf. hatten sich vorliegend (aus Interesse für die Festgenommenen) zwar im Postenbereich - einige von ihnen zeitweise auch in unmittelbarer Nähe der Eingangstüre - eingefunden, aber den Zutritt zum Posten und den Dienstbetrieb nicht in faßbarer Weise gestört. Sie hatten - miteinander und mit Rechtsanwalt Dr. T - in gewöhnlicher Lautstärke diskutiert, niemanden belästigt, keinesfalls gelärmt; daß sie mit den in K in Haft angehaltenen Mitbf. (durch einen Lichtschacht) in Verbindung zu treten suchten, nimmt der VfGH auf Grund der Verfahrensergebnisse nicht an; lediglich der hier nicht betroffene Rechtsanwalt Dr. T redete seinem aus der Zelle in den Hof rufenden Sohn beruhigend zu. Das festgestellte Verhalten der Bf. im Hof vor dem Postenkommando war aber unter den obwaltenden Verhältnissen - legt man ein normales Empfinden als Maßstab zu Grunde - keineswegs geeignet, Ärgernis zu erregen; es überschritt den Umständen nach nicht die Grenze des Tolerablen. Folglich konnte auch nicht mit gutem Grund angenommen werden, daß den in Rede stehenden Bf. die Verwaltungsübertretung nach Art. VIII Abs. 1 lit. a 1. Fall EGVG zur Last falle.

Wachkörper, wie die Gendarmerie, sind nicht selbst Behörden, sondern Hilfsorgane der Behörden (VfSlg. 3108/1956) . Den Dienststellen der Gendarmerie mangelt - vom Dienstrecht und vom inneren Dienst abgesehen - eine selbständige Entscheidungskompetenz und Verfügungskompetenz. Soweit die Gendarmerie Anordnungen trifft, sind sie stets jener Behörde zuzurechnen, als deren Hilfsorgan sie im konkreten Fall tätig wird, deren Vollziehungsgewalt sie handhabt, das ist hier die Bezirkshauptmannschaft V als unterste staatliche Sicherheitsbehörde ihres Sprengels.

Eine notwendige Fesselung stellt, wie der VfGH bereits in seinem Erk. Slg. 7081/1973 aussprach, keine hier allein in Betracht kommende "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" i. S. des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 3, Art. 3 MRK} dar.

Aus den Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969 (§§ 3, 4, 5, 6) ist abzuleiten, daß auch die als weniger gefährliche Maßregel eingestufte Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse, die sich als Mittel zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstands und zur Erzwingung einer Festnahme von Waffengebrauch selbst nur graduell unterscheidet, denselben grundsätzlichen Einschränkungen wie der Waffengebrauch unterliegt, also zur Erreichung der vom Gesetz vorgesehenen Zwecke nur dann Platz greifen darf, wenn sie notwendig ist und maßhaltend vor sich geht, dann aber, d. h. unter diesen Voraussetzungen, wie der Waffengebrauch selbst keineswegs gegen Art. 3 MRK verstößt. Aus dem Erk. Slg. 7377/1974 folgt allerdings nicht, daß jede nach dem WaffengebrauchsG unzulässige Anwendung von Körperkraft - zwingend - auch Art. 3 MRK verletzt. Gegen das in {Europäische Menschenrechtskonvention Art 3, Art. 3 MRK} statuierte - im vorliegenden Fall allein in Betracht zu ziehende - Verbot "erniedrigender Behandlung" verstoßen derartige physische Zwangsakte vielmehr nur dann, wenn qualifizierend hinzutritt, daß ihnen eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist.

Verstoß gegen {Europäische Menschenrechtskonvention Art 3, Art. 3 MRK} durch Einsatz von körperlicher Kraft.

Die sich zur slowenischsprachigen Minderheit im Bundesland Kärnten bekennenden Bf. machen eine Verletzung der Art. 6 und 7 Z 1 des Staatsvertrages von Wien und des Art. 67 des Staatsvertrages von Saint-Germain geltend, weil sie sich durch die angefochtenen Amtshandlungen als Minderheitsangehörige in Krnt. benachteiligt erachten. Mit dieser Behauptung kann die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zunächst deshalb nicht dargetan werden, weil Art. 6 des Staatsvertrages von Wien - abgesehen davon, daß aus ihm keine subjektiven öffentlichen Rechte ableitbar sind (VfSlg. 3248/1957) - nicht Verfassungsrang genießt (VfSlg. 6240/1970, 6762/1972) , denn dieser Artikel scheint nicht unter jenen Bestimmungen auf, die durch Art. II Z 3 des B-VG, BGBl. 59/1964, gemäß Art. 50 Abs. 2 in Verbindung mit {Bundes-Verfassungsgesetz Art 44, Art. 44 Abs. 1 B-VG} genehmigt wurden. Das gleiche gilt für Art. 7 Z 1 des zitierten Staatsvertrages. Art. 67 des Staatsvertrages von Saint-Germain, der als Bestandteil des Abschnittes V des III. Teils dieses Vertrages kraft {Bundes-Verfassungsgesetz Art 149, Art. 149 Abs. 1 B-VG} als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem von den Bf. bezogenen ersten Halbsatz, daß Österreichische Staatsangehörige, die einer Minderheit nach Rasse, Religion oder Sprache angehören, dieselbe Behandlung und dieselben Garantien, rechtlich und faktisch, wie die anderen österreichischen Staatsangehörigen genießen, enthält also das Verbot der Minderheitendiskriminierung (siehe auch Art. I des B-VG vom 3. Juli 1973 zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973) . Vorliegend ist auf Grund der Verfahrensergebnisse nicht nachweisbar, daß die einschreitenden Exekutivorgane mit den bekämpften Verwaltungsakten den Zweck verfolgten, die Bf. wegen ihres Bekenntnisses zur slowenischsprachigen Minderheit zu diskriminieren, d. h. schlechter zu stellen als österreichische Staatsbürger, die sich nicht zu einer solchen Minderheit bekennen. Die im Bereich St. K eingesetzten Gendarmeriebeamten hatten instruktionsgemäß für einen störungsfreien Ablauf der Veranstaltung Sorge zu tragen: Wie die bel. Beh. vorbringt und insbesondere durch die Aussagen der Zeugen Dr. St. und R bestätigt wird, schritten die hier in Betracht kommenden Exekutivorgane nur gegen jene Personen ein, von denen sie nach Lage der Dinge annahmen, daß sie den Veranstaltungsablauf stören und damit die Erreichung des Zieles des Gendarmerieeinsatzes beeinträchtigen.

Daß in St. K vorwiegend Angehörige der slowenischsprachigen Minderheit zu derartigen Annahmen Anlaß boten, erklärt sich naturgemäß aus der damaligen Interessenlage, waren es doch an Ort und Stelle meist Minderheitsangehörige, die der Veranstaltung des Krnt. Abwehrkämpferbundes ablehnend gegenüberstanden. Ebenso wie in St. K spielte aber auch für die Amtshandlungen in K die Frage des Minderheitsbekenntnisses der Betroffenen keine wie immer geartete Rolle. Die Bf. wurden darum in ihrem durch Art. 67 des Staatsvertrages von Saint-Germain verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nicht verletzt.

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