JudikaturVfGH

B248/75 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
26. März 1977

§ 2 Abs. 1 Zivildienstgesetz besagt, daß Wehrpflichtige i. S. des Wehrgesetzes, BGBl. Nr. 181/1955, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden; sie sind zivildienstpflichtig.

Diese als Verfassungsbestimmung erlassene (durch Art. 9 a B-VG nicht veränderte) Vorschrift legt nicht nur das Vorgehen der Behörden fest, die zur Entscheidung über Anträge auf Befreiung von der Wehrpflicht berufen sind; sie räumt auch dem in ihr angeführten Personenkreis, nämlich antragstellenden Wehrpflichtigen i. S. des WehrG, das subjektive Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht bei Zutreffen der festgelegten Voraussetzungen ein und schafft weiters deren Verpflichtung zur Zivildienstleistung. Soweit die bezogene Gesetzesstelle subjektive Rechte begründet, sind diese - im Hinblick auf den Verfassungsrang der Vorschrift - verfassungsgesetzlich gewährleistet. Der Umstand, daß die Materialien zum ZivildienstG (siehe 603 Blg. NR und 1048 Blg. NR XIII. GP) keinen Hinweis auf ein solches Verständnis des § 2 Abs. 1 leg. cit. enthalten, steht dieser Auslegung nicht entgegen.

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Leistung von Zivildienst hat zunächst die in § 2 Abs. 1 ZivildienstG ohne Gesetzesvorbehalt umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung zum Inhalt. Eine Verletzung dieses Grundrechtes liegt daher (jedenfalls dann vor, wenn die Behörde diese materiellrechtlichen Voraussetzungen unrichtig beurteilt hat.

Wie sich aus der Wendung "glaubhaften Gewissensgründen" ergibt, hat sich der Verfassungsgesetzgeber jedoch nicht auf die Gewährleistung der materiellrechtlichen Voraussetzungen beschränkt, sondern hat in die Regelung - und damit auch in den Schutzumfang des Grundrechtes - die für den Nachweis der erwähnten Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) einbezogen. Dies bedeutet, daß eine Verletzung des durch § 2 Abs. 1 ZivildienstG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes weiters dann vorliegt, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

Der Bf. hat vor der Zivildienstkommission nur vorgebracht, er lehne aus bestimmten Erwägungen die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen ab; er hat aber für seine Person nicht dargelegt, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Die bel. Beh. war daher schon auf dem Boden der Behauptungen des Bf. gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 ZivildienstG zu verweigern. Im Hinblick darauf ist es unerheblich, ob die bel. Beh. ihren Bescheid richtig begründet hat und ob ihr - wie der Bf. meint - im Zusammenhang mit der Frage, ob seine Behauptungen glaubhaft sind, irgendwelche Verfahrensfehler unterlaufen sind.

Zur geltendgemachten Verletzung des Art. 9 MRK verweist der VfGH auf die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 2. April 1973, Nr. 5591/72, wonach sich aus Art. 9 im Zusammenhalt mit Art. 4 Abs. 3 lit. b MRK ergibt, daß kein Vertragsstaat verpflichtet ist, Waffendienstverweigerer anzuerkennen. Aus dieser Auffassung, welcher der VfGH beipflichtet, folgt, daß aus der Nichtbefreiung von der Verpflichtung zur Wehrdienstleistung keine Verletzung des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 9, Art. 9 MRK} abgeleitet werden kann.

Eine Verletzung des Art. 14 StGG kann bereits deshalb nicht vorliegen, weil sich der Bf. zur Begründung seines Antrages auf Befreiung von der Wehrpflicht auf "Gewissensanschauliche und weltanschauliche Gründe" berufen hat, die beigezogene Vorschrift des StGG gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (siehe zuletzt das Erk. Slg. 7679/1975) sich jedoch nur auf religiöse Fragen bezieht.

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