B38/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Der angefochtene Bescheid wird im wesentlichen damit begründet, daß die Bf. durch die Eheschließung - was ihre persönlichen Angelegenheiten betraf (Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit zähle zweifellos dazu) - eigenberechtigt geworden sei; § 27 Abs. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 sei daher auf sie nicht anwendbar. Dem setzt die Bf. entgegen, "daß die beiden Zeitpunkte, nämlich der Eheschließung und des Erwerbes der fremden Staatsangehörigkeit zeitgleich zusammenfielen, so daß die minderjährige Braut zum Zeitpunkt des Erwerbes der fremden Staatsangehörigkeit noch immer minderjährig sei" . Die Erklärung der Bf., die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben zu wollen, ist der Eheschließung zeitlich nachgefolgt. Der VfGH hält die von der bel. Beh. vorgenommene Gesetzesanwendung daher jedenfalls nicht für derart unvertretbar, daß sie Willkür indizieren würde.
Die bel. Beh. hat dem verfassungsrechtlich unbedenklichen § 27 StbG 1965 auch nicht fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Wenn der Gesetzgeber verheiratete Frauen (nicht aber Männer oder nichtverheiratete Frauen) , die noch nicht das allgemeine Volljährigkeitsalter erreicht haben, hinsichtlich ihrer persönlichen Angelegenheit (z. B. hinsichtlich des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit) eigenberechtigten Personen gleichstellt, liegt eine derartige Entscheidung durchaus im Rahmen der dem Gesetzgeber zukommenden rechtspolitischen Überlegungen. Diese Unterscheidung ist in dem System des Familienrechtes und Staatsbürgerschaftsrechtes begründet, das zum gegenständlichen Zeitpunkt (9. September 1966) gegolten hat.
Das Gleichheitsrecht ist nur österreichischen Staatsbürgern, nicht aber Ausländern gewährleistet (vgl. die ständige Judikatur des VfGH, z. B. Slg. 6240/1970, 6585/1971, 7138/1973, 7307/1974) . Die Tiroler Landesregierung hat mit Bescheid vom 23. Jänner 1976 festgestellt, daß die Bf. seit dem 9. September 1966 nicht mehr österreichische Staatsbürgerin sei. Dieser Bescheid ist rechtskräftig. Nun ist aber gerade er Gegenstand dieses Verfahrens vor dem VfGH, in dessen Verlauf seine Verfassungsmäßigkeit, also die Frage zu untersuchen ist, ob die Feststellung der bel. Beh., die Bf. besitze seit dem 9. September 1966 nicht mehr die österreichische Staatsbürgerschaft, etwa verfassungswidrig ist. Sollte dies der Fall sein, so könnte die Bf. zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides und auch heute noch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. In diesem Fall wäre es möglich, daß die bel. Beh. die Bf. als österreichische Staatsbürgerin im Gleichheitsrecht verletzt hat. In diesem Ausnahmsfall bildet daher auch dieses Grundrecht einen Maßstab für die Prüfung des bekämpften Bescheides im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren (vgl. Slg. 7161/1973) .