JudikaturVfGH

B314/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
18. Dezember 1976

Gemäß dem nach § 35 Abs. 1 VerfGG 1953 im verfassungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwendenden {Zivilprozeßordnung § 63, § 63 Abs. 1 ZPO} ist die Verfahrenshilfe einer Partei so weit zu bewilligen, als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Gegen diese Regelung bestehen keine Bedenken aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes und des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ZPO kann die Verfahrenshilfe nur für einen bestimmten Rechtsstreit bewilligt werden. Es ist deshalb auch gemäß {Zivilprozeßordnung § 66, § 66 Abs. 1 ZPO} in dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die Verfahrenshilfe begehrt wird. Bei der Beurteilung der Frage, was als ein bestimmter Rechtsstreit zu gelten hat, muß {Zivilprozeßordnung § 187, § 187 ZPO} außer Betracht bleiben.

Nach dieser Bestimmung können nämlich nur schon bei Gericht anhängige Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung verbunden werden. Die Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung kann der Klageerhebung (hier Beschwerdeerhebung) somit erst nachfolgen; sie setzt die rechtmäßige Einbringung der Beschwerde (durch einen bemächtigten Rechtsanwalt oder einen im Wege der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt) bereits voraus. Gegen die gesetzliche Regelung, daß die Verfahrenshilfe für einen bestimmten Rechtsstreit zu bewilligen ist, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Wenn die Verfahrenshilfe gemäß {Zivilprozeßordnung § 63, § 63 ZPO} einer Partei so weit zu bewilligen ist, als diese außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, so kann diese Bestimmung dahin ausgelegt werden, daß bei gleichzeitiger Führung zweier oder mehrerer Rechtsstreite je nach den Vermögensverhältnissen, Einkommensverhältnissen und Familienverhältnissen ({Zivilprozeßordnung § 66, § 66 ZPO}) die Kosten der Führung eines oder mehrerer Verfahren ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestritten werden können und daher für diese Verfahren die Verfahrenshilfe nicht zu bewilligen ist, daß aber die Kosten der Führung weiterer Verfahren eine solche Beeinträchtigung bedeuten können, und daher für diese Verfahren die Verfahrenshilfe zu bewilligen. Gegen diesen Inhalt des Gesetzes bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es kann keine Rede davon sein, daß durch eine derartige gesetzliche Bestimmung ein Rechtssuchender seinem gesetzlichen Richter entzogen würde; soweit für die Führung eines Verfahrens das Einschreiten eines Rechtsanwalts notwendig ist, ist dieses durch die Möglichkeit entweder der - zumutbaren - Bevollmächtigten eines Rechtsanwaltes oder der Beigebung eines Rechtsanwaltes im Wege der Verfahrenshilfe gewährleistet.

Wenn von einer Partei Beschwerden aber auch Klagen und Anträge beim VfGH laufend eingebracht werden und sich zeitweilig häufen, so entspricht es durchaus dem Gesetz, bei Beurteilung der Frage, inwieweit die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung der Verfahren ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Einbringung der Beschwerden (Klagen und Anträge) und dem Zufluß der Einkünfte des Bf. Rücksicht zu nehmen, also die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe bei gleichbleibenden Vermögensverhältnissen, Einkommensverhältnissen und Familienverhältnissen nicht in allen Beschwerdefällen und Klagefällen in gleicher Weise für gegeben anzunehmen.

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