JudikaturVfGH

G21/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
15. Dezember 1976

Im {Bundesabgabenordnung § 212, § 212 Abs. 1 BAO} werden die Worte "den Zeitpunkt der Entrichtung einer Abgabe hinausschieben (Stundung) oder" und "sofortige oder" als verfassungswidrig aufgehoben.

Macht ein Steuerpflichtiger Werbungskosten, Sonderausgaben oder auch außergewöhnliche Belastungen als Abzugsbeträge geltend, so ist, gleichgültig, ob er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht und die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) erhoben wird ({Einkommensteuergesetz 1972 § 47, § 47 EStG 1972}) oder ob er zur Einkommensteuer veranlagt wird ({Einkommensteuergesetz 1972 § 39, § 39 EStG 1972}) , die Berücksichtigung dieser Abzugsbeträge mit den der jeweiligen Erhebungsform der Steuer entsprechenden Mitteln im Ergebnis gesichert. Für beide Arten von Steuerpflichtigen kann nun der Fall eintreten, daß die sofortige oder volle Entrichtung der Steuer mit erheblichen Härten verbunden wäre.

Für solche Fälle ermöglicht § 212 Abs. 1 BAO die Bewilligung einer Zahlungserleichterung. Durch eine solche Bewilligung bleibt zwar die Fälligkeit der Abgabe unberührt, jedoch wird der Zeitpunkt der Entrichtung der Abgabe hinausgeschoben. Die rechtzeitige Einbringung eines Ansuchens um Zahlungserleichterung hat die Wirkung, daß die Verpflichtung zur Entrichtung eines Säumniszuschlages zunächst nicht eintritt ({Bundesabgabenordnung § 217, § 217 BAO}) sowie daß Einbringungsmaßnahmen bis zur Erledigung des Ansuchens nicht eingeleitet werden dürfen (§ 230 Abs. 2 BAO) . Da die Bestimmungen der BAO gemäß deren § 1 lit. a in Angelegenheiten der bundesrechtlich geregelten öffentlichen Abgaben gelten und die dort vorgesehenen Ausnahmen hier nicht in Betracht kommen, schließt § 212 Abs. 1 BAO dem Wortlaut nach seine Anwendung auf die als Lohnsteuer durch Abzug vom Arbeitslohn zu erhebende Einkommensteuer ({Einkommensteuergesetz 1972 § 47, § 47 EStG 1972}) nicht aus. Ein Hinausschieben des Zeitpunktes der Entrichtung der Lohnsteuer i. S. des § 212 Abs. 1 BAO ist jedoch auf Grund der im EStG 1972 für die Erhebung der Lohnsteuer getroffenen Regelung für diese Fälle nicht durchführbar. Die Erhebung der Lohnsteuer geht nämlich unter wesentlicher Mitwirkung des Arbeitgebers vor sich. Dieser hat die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten (§ 78 Abs. 1 , {Einkommensteuergesetz 1972 § 85, § 85 Abs. 1 EStG 1972}) - für solche Steuerabzugsbeträge entsteht der Abgabenanspruch gemäß § 4 Abs. 2 lit. a Z 5 BAO im Zeitpunkt des Zufließens der steuerpflichtigen Einkünfte - und an das Finanzamt der Betriebsstätte abzuführen ({Einkommensteuergesetz 1972 § 79, § 79 Abs. 1 EStG 1972}) . Für die Lohnsteuerberechnung sind dabei die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte maßgeblich (§§ 48, 64, 66 Abs. 4 EStG 1972) . Wie der VfGH in seinem Beschluß Slg. 7158/1973 ausgeführt hat, ist die Einbehaltung der Lohnsteuer nicht ein der Finanzbehörde zuzurechnender Akt. Es kann darin auch keine Einbringungsmaßnahme i. S. des {Bundesabgabenordnung § 230, § 230 Abs. 2 BAO} gesehen werden, denn darunter sind, wie sich aus den §§ 262 und 229 BAO in Verbindung mit § 3 der Abgabenexekutionsordnung, BGBl. 104/1949, ergibt, Maßnahmen der finanzbehördlichen und der gerichtlichen Vollstreckung zu verstehen. Bei der Einbehaltung der Lohnsteuer und ihrer Abfuhr an das Finanzamt handelt es sich vielmehr um eine der Maßnahmen der Entrichtung der Abgabe (vgl. hiezu auch {Bundesabgabenordnung § 240, § 240 Abs. 3 BAO}) , die dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber jeweils im Rahmen der ihnen gesetzlich aufgetragenen Mitwirkungspflichten obliegen. Bei der Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer kann der Arbeitgeber besondere Verhältnisse nur insoweit berücksichtigen, als ihm dies vom Gesetz selbst unmittelbar oder im Wege der Bindung an entsprechende Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte zur Pflicht gemacht ist (§§ 63 bis 65 EStG 1972) . Infolge dieser im EStG 1972 getroffenen Regelungen für die Entrichtung der Lohnsteuer ist somit eine Stundung gemäß {Bundesabgabenordnung § 212, § 212 Abs. 1 BAO} insoweit nicht möglich, als die Lohnsteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben wird; lediglich in den Fällen des § 82 Abs. 2 EStG 1972 durch Vorschreibung der Lohnsteuer durch Bescheid ist eine Stundung gemäß den Bestimmungen der BAO möglich.

Der VfGH hat im Hinblick auf die Besteuerung des Einkommens die Rechtsauffassung vertreten (vgl. Slg. 6874/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur) , daß der Gesetzgeber durch das Gleichheitsgebot grundsätzlich gehalten ist, die Bezieher von Einkommen gleichzubehandeln. Dies schließe allerdings nicht aus, daß die Verschiedenheit der einzelnen Einkunftsarten auch Unterschiede steuerlicher Art bedinge. So hat der VfGH in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß der Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (jetzt {Einkommensteuergesetz 1972 § 25, § 25 EStG 1972}) gegenüber dem Bezug von anderen Einkünften Unterschiede aufweise und es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sei, diese Einkunftsarten verschieden zu behandeln; aus den Unterschieden in Bezug einzelner Einkunftsarten allein lasse sich jedenfalls nicht ableiten, daß eine verschiedene steuerliche Behandlung solcher Einkunftsarten nicht gegen das Gleichheitsgebot verstoße. Eine differenzierende Regelung müsse vielmehr auf konkrete tatsächliche Unterschiede zurückgeführt werden können und unterliege im Einzelfall insofern der Kontrolle durch den VfGH, als eine Verfassungswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes dann vorläge, wenn die im Gesetz enthaltene Differenzierung nicht aus entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich sachlich gerechtfertigt wäre. Diese zur Einkommensteuer angestellten Überlegungen gelten auch für steuerliche Regelungen anderer Art: In allen solchen Fällen ist im Einzelfall zu untersuchen, ob eine unterschiedliche Behandlung auf Unterschiede in der Sache zurückgeführt und damit gerechtfertigt werden kann.

Der Gesetzgeber hat in {Bundesabgabenordnung § 212, § 212 Abs. 1 BAO} die Stundung lediglich an die Voraussetzungen geknüpft, daß die sofortige Entrichtung der Abgabe für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgabe durch den Aufschub nicht gefährdet wird. Diese Voraussetzungen können sowohl bei der Lohnsteuer wie auch bei der veranlagten Einkommensteuer gegeben sein.

Es trifft nun sicherlich zu, daß infolge der Unterschiede in der Erhebungsform der Einkommensteuer als Lohnsteuer einerseits und als veranlagte Einkommensteuer andererseits der Rechtsfigur der Stundung in beiden Bereichen nicht die gleiche Bedeutung zukommen kann; dies insbesondere zufolge des Umstandes, daß bei Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer unterschiedliche Einkommenshöhen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum ({Einkommensteuergesetz 1972 § 77, § 77 EStG 1972}) sofort berücksichtigt werden können, während bei der veranlagten Einkommensteuer nur eine Berücksichtigung im Nachhinein bei der Veranlagung (allenfalls auch schon im Wege der Anpassung der Vorauszahlungen) möglich ist.

Infolge der besonderen Erhebungsform der Lohnsteuer werden bei dieser auch Fälle, in denen die sofortige Entrichtung den Abgabepflichtigen existenzbedrohend gefährdet, in der Regel nicht vorkommen. Andere Fälle erheblicher Härten können jedoch im Bereich der Lohnsteuerentrichtung nicht als atypisch gewertet werden. Ein Streit über die Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnlicher Belastungen kann bei der veranlagten Einkommensteuer zu einer Stundung führen, dagegen ist eine solche bei der im Abzugswege erhobenen Lohnsteuer ausgeschlossen, obwohl auch hier die gleichen Voraussetzungen vorliegen können und bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte geraume Zeit verstreichen kann (in dem den Bf. der Anlaßfälle betreffenden Erk. Slg. 7899/1976 handelte es sich um Zeiträume bis zu mehr als zwei Jahre) . Dabei wird nicht übersehen, daß nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. Reeger-Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, 1966, S. 714; dieselben, Die Bundesabgabenordnung, 5. Aufl., 1975, S. 332) die Einlegung eines Rechtsmittels allein den Tatbestand der Härte noch nicht verwirklicht. Es ist somit keine sachliche Rechtfertigung dafür gegeben, die Rechtsfigur der Stundung, wie sie § 212 Abs. 1 BAO als eine Einrichtung zur Milderung erheblicher Härten bei der Abgabenerhebung versteht, von einer Anwendung auf die Lohnsteuer, soweit diese durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben wird, überhaupt auszuschließen. Der Gesetzgeber ist zwar nicht verpflichtet, der Rechtsfigur der Stundung den Inhalt wie in {Bundesabgabenordnung § 212, § 212 Abs. 1 BAO} zu geben, wenn er dies aber tut, muß er Vorsorge treffen, daß gleiche tatsächliche Gegebenheiten sowohl bei der veranlagten Einkommensteuer wie auch bei der durch Abzug vom Arbeitslohn erhobenen Lohnsteuer in gleicher Weise berücksichtigt werden können (vgl. zu der Forderung an den Gesetzgeber, gleiche Sachverhalte gleich zu regeln, Slg. 5316/1966) . Da er dies nicht getan hat, verstößt die getroffene Regelung somit gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz (vgl. z. B. Slg. 7059/1973 und die dort angeführte Vorjudikatur) .

§ 230 Abs. 2 und {Bundesabgabenordnung § 240, § 240 Abs. 3 BAO} werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben. (Nach Aufhebung einiger Worte in § 212 Abs. 1 BAO verfassungsrechtlich unbedenklich .) Der erste Satz im {Einkommensteuergesetz 1972 § 78, § 78 Abs. 1 EStG 1972} wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben (nach Aufhebung einiger Worte in {Bundesabgabenordnung § 212, § 212 Abs. 1 BAO} verfassungsrechtlich unbedenklich) .

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