KR1/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 127, Art. 127 Abs. 1 B-VG} i. d. F. BGBl. 143/1948 und § 15 Abs. 1 und 7 Rechnungshofgesetz 1948, BGBl. 144/1948, ist der Rechnungshof befugt, zum Zwecke der Überprüfung der in den selbständigen Wirkungsbereich des Landes Vorarlberg fallenden Gebarung an Ort und Stelle in die in den Personalakten enthaltenen Dienstbeschreibungen, Krankmeldungen und ärztlichen Zeugnissen, soweit keine Einstellung der Bezüge erfolgt, Meldungen über den Wiederantritt zum Dienst, Urlaubsanträge betreffend Erholungsurlaub, Dienstprüfungsakte unter Einschluß des Prüfungsergebnisses, Dienststrafverfahren und Gerichtsverfahren "ohne finanziellen Einschlag" und Bestellungen in Beiräte oder Kommissionen als sonstige Behelfe i. S. des Gesetzes Einsicht zu nehmen.
Der Inhalt der historischen Regelungen läßt erkennen, daß der Gesetzgeber schon von Anfang an die Gebarung als ein über das bloße Hantieren mit finanziellen Mitteln (tätigen von Ausgaben und einnehmen, Verwalten von Vermögensbeständen) hinausgehendes Verhalten verstanden hat, nämlich jedes Verhalten, das finanzielle Auswirkungen (Auswirkungen auf Ausgaben, Einnahmen und Vermögensbestände) hat. Die schrittweise Erweiterung des Prüfungsmaßstabes macht deutlich, daß sich die Gebarungskontrolle auch auf solches Verhalten zu erstrecken hat, das für die Beurteilung der Gebarung unter den Gesichtspunkten der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit maßgeblich ist. Eine Überschneidung der Zuständigkeit des Rechnungshofes mit den Zuständigkeiten des VwGH und des VfGH ist auch in den Bereichen, in denen sich die Gebarungskontrolle auf die Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften erstreckt, schon aus dem Grunde nicht gegeben, weil dem Rechnungshof keinerlei Eingriffsmöglichkeiten in die von ihm geprüften Vollziehungsbereiche zukommen, sondern er das Ergebnis seiner Überprüfungen lediglich in Berichten oder Mitteilungen niederzulegen hat (Art. 126 d, 127, 127 a B-VG) . Mit seiner Regelung über die Gebarung und Gebarungskontrolle befindet sich der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Fachliteratur, die den Begriff der Gebarung als mit dem Begriff der Wirtschaftsführung gleichbedeutend erachtet hat.
Aus der in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 127, Art. 127 Abs. 1 B-VG} im zweiten Halbsatz des zweiten Satzes vorgenommenen Einschränkung, daß die Überprüfung nicht die für die Gebarung maßgebenden Beschlüsse der verfassungsmäßig zuständigen Vertretungskörper umfaßt, ergibt sich, daß die für die Gebarung maßgebenden Beschlüsse oder sonstigen Akte der Willensbildung, die von anderen Organen der Länder als den Vertretungskörpern gesetzt werden, der Überprüfung durch den Rechnungshof unterliegen.
Der Umfang der Einsichtnahme ergibt sich zwingend aus den Bestimmungen des B-VG und des darauf beruhenden RechnungshofG 1948 über die Gebarungsüberprüfung in den Ländern. Für eine restriktive Auslegung, wie sie die Vlbg. Landesregierung aus Erwägungen des bundesstaatlichen Aufbaus der Verfassung notwendig scheint, ist daher kein Raum. Es darf dabei nicht übersehen werden, daß der Rechnungshof in Angelegenheiten der Ländergebarung im Bereich der Landesvollziehung (vgl. Slg. 2744/1954) als Organ des betreffenden Landtages tätig ist ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 122, Art. 122 Abs 1 B-VG}) . Seine organisatorische Unterstellung unmittelbar unter den Nationalrat ändert daran nichts.
Der Verfassungsgesetzgeber hat mit der getroffenen Regelung einerseits den Erfordernissen der bundesstaatlichen Struktur Rechnung getragen, anderseits die Überprüfung der Gebarung der Gebietskörperschaften in ihrer Effizienz dadurch erhöht, daß er sie einem einzigen, bei der Prüfung nach gleichen Gesichtspunkten einheitlich vorgehenden Organ übertragen hat. Derselbe Gedanke der Vereinheitlichung kommt auch in den Bestimmungen des {Finanz-Verfassungsgesetz 1948 § 16, § 16 F-VG 1948} zum Ausdruck, in denen eine Regelung der Form und Gliederung der Voranschläge und Rechnungsabschlüsse der Gebietskörperschaften unter Beteiligung des Rechnungshofes vorgesehen ist.
Für die Einsichtnahme in Personalakten einer Gebietskörperschaft durch den Rechnungshof stellen - entgegen der Meinung der Vlbg. Landesregierung - die Bestimmungen des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 8, Art. 8 MRK} keine Schranke dar.
Durch eine solche Einsichtnahme - und nur diese, nicht auch die Verwertung der durch Einsichtnahme gewonnenen Erkenntnisse, steht hier in Frage - seitens des dazu verfassungsrechtlich legitimierten Kontrollorganes wird in den Anspruch auf Achtung des privaten Familienlebens (die anderen Tatbestände des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 8, Art. 8 Abs. 1 MRK} scheiden von vornherein aus) nicht eingegriffen.
Eine Überprüfung des Personalaufwandes einer Gebietskörperschaft unter den Gesichtspunkten der Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften und den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit ist nur möglich, wenn der Rechnungshof zur Einsichtnahme in die die Bediensteten betreffenden Personalakten dieser Gebietskörperschaft umfassend befugt ist. Ob dieses Einsichtsrecht unbeschränkt ist, hat der VfGH anläßlich der Entscheidung über den vorliegenden Antrag nicht zu untersuchen, denn der Gerichtshof hat sich dabei auf die Beantwortung der Frage zu beschränken, ob die dem Rechnungshof von der Vlbg. Landesregierung vorenthaltenen Bestandteile von Personalakten von dem Einsichtsrecht des Rechnungshofes erfaßt oder ausgenommen sind.