JudikaturVfGH

V9/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
15. Oktober 1976

Die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, enthalten in dem im Zirkularwege gefaßten Beschluß des Ausschusses der Salzburger Rechtsanwaltskammer, mit dem die am 9. Juni 1951 in der ständigen Vertreterversammlung der Österreichischen Rechtsanwaltskammern beschlossene Textänderung dieser Richtlinien für den Kammersprengel Salzburg als geltend festgesetzt wurde, Nachrichtenblatt der Österreichischen Rechtsanwaltschaft Nr. 10/1951, werden als gesetzwidrig aufgehoben (wegen mangelnder Kundmachung unter Hinweis auf Slg. 7281/1974) . Wegen dieses Kundmachungsmangels ist aber zufolge der Bestimmung des Art. 139 Abs. 3 lit. c B-VG ( Fassung BGBl. 302/1975) nicht nur die in Prüfung gezogene Stelle, sondern - da die Voraussetzungen des letzten Satzes der angeführten Verfassungsbestimmung nicht gegeben sind - die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben.

Punkt 36 der Richtlinien verbietet dem Rechtsanwalt, in Vollmachtsformulare Klauseln über die Kostentragung aufzunehmen, die über die Vereinbarung der Solidarhaftung mehrerer Vollmachtgeber für die Entlohnung des Anwaltes und über eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Geltendmachung der Entlohnung hinausgehen. Dies bedeutet eine Einschränkung der sonst nach der Rechtsordnung zur Gestaltung des Vollmachtsverhältnisses zulässigen vertraglichen Dispositionsfreiheit.

Wie der VfGH im Erk. Slg. 4886/1964 ausgeführt hat, kann § 23 RAO als Rechtsgrundlage für die Erlassung einer Verordnung zur Begründung und Gestaltung von Rechten und Pflichten der Rechtsanwälte im Hinblick auf die Wahrung der Ehre und des Ansehens des Standes nach den allgemeinen Bestimmungen des § 10 Abs. 2 und des {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 23, § 23 RAO} nicht ausgeschlossen werden. Der VfGH ist daher der Auffassung, daß auf Grund dieser Bestimmungen durchaus Regelungen im Verordnungswege über die Aufnahme von Klauseln über die Kostentragung in Vollmachtsformulare im Hinblick auf die Wahrung der Ehre und des Ansehens des Standes der Rechtsanwälte getroffen werden können. Eine generelle Regelung aber, wonach in Vollmachtsformularen alle Klauseln unstatthaft sind, die über die Vereinbarung der Solidarhaftung mehrerer Vollmachtgeber für die Entlohnung des Rechtsanwaltes und über eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Geltendmachung der Entlohnung hinausgehen, kann auf die angeführten Bestimmungen nicht gestützt werden, weil es nach der Rechtsordnung durchaus Klauseln über die Kostentragung geben wird, deren Aufnahme in das Vollmachtsformular mit der Ehre und dem Ansehen des Standes der Rechtsanwälte nicht in Widerspruch steht. Es läßt sich aber auch keine andere gesetzliche Vorschrift finden, auf die sich das in Punkt 36 der Richtlinien enthaltene allgemeine Verbot stützen könnte. Der Punkt 36 der Richtlinien enthält daher neues selbständiges Recht.

Diese Bestimmung widerspricht damit dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 B-VG} und ist daher auch aus diesem Grunde als gesetzwidrig aufzuheben.

Das B-VG regelt Verfahren zur Erlassung von Gesetzen lediglich in seinem zweiten und seinem vierten Hauptstück, es versteht mithin - jedenfalls im Art. 140 - unter "Gesetzen" nur jene Normen, die auf dem dort hiefür vorgesehenen Weg entweder vom Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat oder von einem Landtag beschlossen werden. Was immer aus der Deutung des Begriffes "Autonomie" als " Selbstgesetzgebung" folgen mag, es kann aus ihm jedenfalls nicht begründet werden, daß von autonomen Körperschaften erzeugte generelle Rechtsnormen "Gesetze" i. S. des B-VG und also aus diesem Grund einer Prüfung nach dessen Art. 139 nicht zugänglich werden. Das staatliche Gesetzgebungsmonopol hat notwendig zur Folge, daß alle nicht in Gesetzesform ergehenden generellen Normen im Stufenbau der Rechtsordnung unter dem Gesetz rangieren, dieses also Maßstab für jene ist. Nicht notwendig folgt daraus freilich auch schon die Qualifikation jeder nicht im Gesetzesrang stehenden generellen Norm als Verordnung i. S. des B-VG. Hier genügt aber der Hinweis, daß es nicht einzusehen wäre, warum etwa die von Organen eines territorialen Selbstverwaltungskörpers (einer Gemeinde) erlassenen generellen Normen, deren Verordnungscharakter schon nach dem Wortlaut z. B. der Art. 118 und 119 a B-VG außer Zweifel steht, einer anderen Qualifikation unterliegen sollten, als die von Organen eines personalen Selbstverwaltungskörpers erlassenen generellen Normen. Der VfGH sieht sich allein schon aus diesem Grund nicht veranlaßt, von seiner ständigen Rechtsprechung abzugehen. Nach dieser aber sind die Richtlinien zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft (Salzburg) Verordnungen.

Der VfGH versteht das Parteivorbringen dahin, daß danach das Gesetz nur Schranke, nicht aber Voraussetzung der generellen Rechtssetzung durch Selbstverwaltungskörper sei oder anders: daß eine von einem autonomen Rechtsträger gesetzte generelle Norm zwar nicht dem Gesetz widersprechen, wohl aber dieses ergänzen dürfe, eine inhaltliche Determination durch das Gesetz also nicht erforderlich sei. Diese Auffassung läßt jedoch die Regelung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 6 B-VG} außer Betracht: diese Bestimmung ermächtigt die Gemeinden - in beschränktem Umfang - ausdrücklich zur Erlassung gesetzesvertretender Verordnungen; es hätte dessen nicht bedurft, wenn eben diese Befugnis uneingeschränkt allein schon aus der Autonomie, der territorialen Selbstverwaltungskörper sowohl wie auch der personalen, folgen würde.

Schon allein deshalb findet der VfGH auch in dieser Hinsicht keinen Anlaß, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen, derzufolge auch die Organe der Selbstverwaltungskörper Verordnungen grundsätzlich nur "auf Grund der Gesetze" i. S. des Art. 18 Abs. 2 B-VG erlassen können.

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