JudikaturVfGH

B123/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
15. Oktober 1976

Ein Bescheid greift nach der ständigen Judikatur des VfGH in das durch Art. 6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Erwerbsbetätigung nur dann ein, wenn ihm ein Verbot oder eine Behinderung der Erwerbsbetätigung innewohnt. Ein derartiger Eingriff liegt hier hinsichtlich des Erstbf. vor (vgl. insbes. §§ 15, 30 und 31 RAO) .

Aus dem Wortlaut der Bestimmungen des § 30 Abs. 1 und 3 Rechtsanwaltsordnung ergibt sich, daß der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer verpflichtet ist, die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter vorzunehmen, sofern die im Abs. 1 vorgesehenen Formalerfordernisse erfüllt sind und sofern der Bewerber nicht vertrauensunwürdig ist. Der klare Wortlaut dieser Bestimmungen verbietet eine andere Auslegung, etwa der Art, daß der Ausschuß die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter auch dann verweigern dürfe, wenn begründeterweise anzunehmen sei, daß die Ausbildung des Eintragungswerbers nicht in hinreichender Weise oder in genügendem Maße erfolgen werde. Dieser sich aus dem klaren Wortlaut des § 30 Abs. 1 und 3 RAO ergebende Gesetzesinhalt kann auch keineswegs als sinnlos bezeichnet werden. Der Gesetzgeber wollte offenbar die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter möglichst erleichtern und es in die Verantwortung des Rechtsanwaltes, in dessen Praxis der Rechtsanwaltsanwärter tätig ist, und in die Verantwortung des Rechtsanwaltsanwärters selbst stellen, eine qualitativ und quantitativ ausreichende Ausbildung zu sichern. Das Gesetz erlaubt für den Fall einer nicht hinreichenden Ausbildung des Rechtsanwaltsanwärters keine prohibitive Maßnahme in Form der Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter, sondern nur repressive Maßnahmen, etwa durch disziplinäre Behandlung wegen Verletzung der Standespflichten, durch Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung (§ 3 RAO) oder durch Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte ({Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 5, § 5 RAO}) . Der VfGH hat aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht zu prognostizieren, ob derartige Maßnahmen im Falle der Eintragung des Erstbf. in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter erforderlich werden könnten. Im übrigen kann der VfGH keine Bestimmung erkennen, die es einem Rechtsanwaltsanwärter gebieten würde, innerhalb der vom {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 2, § 2 Abs. 2 RAO} vorgeschriebenen Mindestzeit für die praktische Verwendung die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte anzustreben. Die Bestimmung des {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 37, § 37 Z 3 RAO} (neugeschaffen durch die Novelle BGBl. 570/1973) , mit der der Österreichische Rechtsanwaltskammertag ermächtigt wird, Richtlinien für die Ausbildung von Rechtsanwaltsanwärtern und die Anrechenbarkeit ihrer praktischen Verwendung zu erlassen, erweitert die oben erwähnten Voraussetzungen des {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 30, § 30 RAO}, die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter zu verweigern, nicht.

Die "Richtlinien über die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs" sind nur unverbindliche Empfehlungen (vgl. Slg. 7903/1976) .

Sowohl die Behörde erster als auch die Behörde zweiter Instanz haben im Rahmen ihres gesetzlichen Zuständigkeitsbereichs gehandelt. Ob ihre Entscheidungen richtig waren, ist nicht eine Frage, die das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter berührt.

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