G39/75 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Eine Übertragung der Beschlußfassung vom Plenum des Ausschusses auf Abteilungen des Ausschusses hat einen zuständigkeitsbegründenden Inhalt und ist daher eine Rechtsverordnung (vgl. Slg. 5864/1968) .
Der VfGH hat schon in seinem Erk. Slg. 5438/1966 (ebenso Slg. 2828/1955) ausgeführt, daß Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG auch auf dem Gebiete der Selbstverwaltung gilt. Es darf daher auch die Selbstverwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden und es darf auch eine Selbstverwaltungsbehörde nur auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen.
Die Vorschrift des {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 26, § 26 Abs. 3 Rechtsanwaltsordnung} über die Ermächtigung zur Fassung von Beschlüssen des Ausschusses in Abteilungen, über die Bildung von Abteilungen und über die Abgrenzung der in den Abteilungen und im Ausschuß selbst zu behandelnden Angelegenheiten entspricht nicht dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 2 B-VG}.
Bezüglich der Beschlußfassung des Ausschusses und der Abteilungen sind im § 26 Abs. 2, 3 und 5 RAO Bestimmungen enthalten, die (den Abs. 2 und 3) auch eine Ermächtigung zur Regelung von Beschlußfassungserfordernissen in der Geschäftsordnung beinhalten, und zwar insoweit als zu bestimmen ist, wie viele Mitglieder (Ersatzmänner) zur Beschlußfähigkeit anwesend sein müssen. Eine Kollegialbehörde kann ihren Willen nur durch Beschluß bilden, der durch Abgabe der Stimmen der Mitglieder zustande kommt. Sagt der Gesetzgeber über das Anwesenheitsquorum nichts aus, so ist eine Kollegialbehörde nur bei Anwesenheit aller ihr zugehörigen Mitglieder fähig, einen Beschluß zu fassen (Slg. 3086/1956) . Ein Abgehen von dieser Regel muß im Gesetz bestimmt sein. Es entspricht nicht dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 2 B-VG}, die Regelung des Anwesenheitsquorums ohne jegliche Determinierung im Gesetz der Bestimmung in der Geschäftsordnung zu überlassen.
§ 26 Abs. 2 und 3 RAO sind durch die RAO 1945, StGBl. 103/1945, wieder als Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung in Kraft gesetzt worden. Die darin enthaltenen formalgesetzlichen Ermächtigungen sind durch das neuerliche Vollwirksamwerden des B-VG am 19. Dezember 1945 derogiert worden und sie gehören seit diesem Zeitpunkt - später sind sie nicht wieder in Kraft gesetzt worden - nicht mehr dem Rechtsbestand an (vgl. zu dieser Rechtsfrage Slg. 1765/1949, 1797/1949, 1837/1949, 2550/1954, 3360/1958, 5120/1965, 5477/1967, 5800/1968, 7086/1973) . Diese Feststellung bezieht sich auf den gesamten Inhalt des § 26 Abs. 2 und 3 RAO. Insoweit der VfGH in seiner bisherigen Rechtsprechung Bestimmungen des {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 26, § 26 Abs. 3 RAO} als verfassungsrechtlich unbedenklich vorausgesetzt hat (wie etwa in Slg. 5438/1966) , kann diese Rechtsauffassung nicht aufrecht erhalten werden.
§ 27 Abs. 1 lit. d RAO enthält, soweit er sich auf die Feststellung der Beiträge der Mitglieder bezieht, keine dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 2 B-VG} entsprechende gesetzliche Determinierung, sondern stellt eine formalgesetzliche Delegation an die Plenarversammlung dar. Als solche gehört die Bestimmung seit dem 19. Dezember 1945 nicht mehr dem Rechtsbestand an.
§ 18 Abs. 2, § 19 Abs. 1 und § 23 lit. g der Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland und deren Ausschuß (Beschluß der Vollversammlung vom 14. Juni 1972, genehmigt vom BM für Justiz mit Erlaß vom 14. September 1972, Zl. 17.544-4 b/72, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 11/1972) ; § 18 Abs. 2, § 19 Abs. 1 und § 23 lit. g der Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. und deren Ausschuß (Beschluß der Vollversammlung vom 21. Mai 1974, genehmigt mit Erlaß des BM für Justiz vom 29. August 1974, Zl. 17.502-4 b/74, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 7/1974) ; die die Abt. I - Ökonomisch-administrative Angelegenheiten der Kammer (ÖAK) - betreffenden Bestimmungen der Geschäftsverteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. (Beschluß des Plenums des Ausschusses vom 18. Juli 1972, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 11/1972) ; die die Abt. VII - Unterstützungseinrichtungen - betreffenden Bestimmungen der Geschäftsverteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. (Beschluß des Plenums des Ausschusses vom 11. Juni 1974, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 7/1974) ; die Beitragsordnung 1972 (Beschluß der Vollversammlung vom 14. Juni 1972, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 7/1972 in Zusammenhalt mit der Verlautbarung des Entwurfes im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 5/1972) ; die Beitragsordnung 1973 (Beschluß der Vollversammlung vom 22. Mai 1973, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 6/1973 in Zusammenhalt mit der Verlautbarung des Entwurfes im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 4/1973) ; die Beitragsordnung 1974 (Beschluß der Vollversammlung vom 21. Mai 1974, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 7/1974) ; § 3 Abs. 1 erster Satz und Abs. 2 der Satzung der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und das Bgld. (Beschluß der Vollversammlung vom 21. Mai 1974, genehmigt vom BM für Justiz mit Erlässen vom 31. August 1974, Zl. 17.503-4 b/74 und vom 20. November 1974, Zl. 17.920-4 b/74, verlautbart im Österreichischen Anwaltsblatt Nr. 7/1974) werden als gesetzwidrig aufgehoben.
Da § 26 Abs. 2 und 3 RAO sowie § 27 Abs. 1 lit. d RAO nicht mehr dem Rechtsbestand angehören, fehlt den Bestimmungen des § 18 Abs. 2, § 19 Abs. 1 und § 23 lit. g der Geschäftsordnung 1972 und der Geschäftsordnung 1974, die die Abteilung I betreffenden Bestimmungen der GV, die die Abteilung VII betreffenden Bestimmungen der GV 1974 und die Beitragsordnung 1972, 1973 und 1974 eine gesetzliche Grundlage.
§ 3 Abs. 2 der Satzung widerspricht dem § 50 Abs. 2 Z 2 lit. a RAO.
§ 19 Abs. 2 der GeschäftsO 1972 und der GeschäftsO 1974 werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben; sie sind durch {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 26, § 26 Abs. 5 RAO} gesetzlich gedeckt.
Eine Kollegialbehörde kann ihren Willen nur durch Beschluß bilden, der durch Abgabe der Stimmen der Mitglieder zustande kommt. Sagt der Gesetzgeber über das Anwesenheitsquorum nichts aus, so ist eine Kollegialbehörde nur bei Anwesenheit aller ihr zugehörigen Mitglieder fähig, einen Beschluß zu fassen (Slg. 3086/1956) . Ein Abgehen von dieser Regel muß im Gesetz bestimmt sein. Es entspricht nicht dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 2 B-VG}, die Regelung des Anwesenheitsquorum ohne jegliche Determinierung im Gesetz den Bestimmungen der Geschäftsordnung zu überlassen.