B399/75 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die neuen Sachentscheidungen sind in Bescheidform ergangen. Hingegen sind die die Wiederaufnahme der früheren rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren verfügenden Entscheidungen nur in der Form ergangen, daß auf die die Sachentscheidungen betreffenden Ausfertigungen ein Stempel "Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO" angebracht wurde. Diese Art der Erledigung widerspricht völlig den für schriftliche Bescheide im {Bundesabgabenordnung § 93, § 93 BAO} vorgeschriebenen Formerfordernissen. Nun hat aber der VfGH in ständiger Judikatur (vgl. z. B. Slg. 4284/1962, 4903/1965, 6187/1970 und 7436/1974) erkannt, daß auch nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Bescheidform ergangenen behördlichen Erledigungen Bescheidcharakter zukommt, sofern durch sie nach ihrem Inhalt gegenüber individuell bestimmten Personen Verwaltungsangelegenheiten normativ geregelt werden, d. h. wenn sie bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt haben. Dies trifft hier zu: Obgleich die in den Stempelaufdrucken zum Ausdruck kommenden Erledigungen unter Mißachtung aller die Form von Bescheiden regelnden Bestimmungen der BAO ergangen sind, verfügen sie ihrem Inhalt nach doch mit normativer Wirkung gemäß {Bundesabgabenordnung § 303, § 303 Abs. 4 BAO} von Amts wegen eine Wiederaufnahme der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren.
Durch diese Bescheide wurde sohin die Wiederaufnahme der Verfahren i. S. der BAO ausgesprochen (vgl. das einen in dieser Hinsicht ähnlich gelagerten Fall betreffende Erk. Slg. 5429/1966) .
Die mehrfachen Ansuchen des Bf. um Verlängerung der Rechtsmittelfrist beziehen sich verbal zwar stets nur auf die "Umsatzsteuerbescheide, Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuerbescheide" . Diese Ersuchen erfassen aber den gesamten normativen Inhalt der Bescheide, auf die sie sich beziehen, also sowohl die Sachentscheidungen als auch die Wiederaufnahmsverfügungen. Die Ansuchen beziehen sich also auch auf die Verlängerungen der Fristen zur Einbringung von Berufungen gegen die Wiederaufnahmsbescheide. Die verkürzte Ausdrucksweise in den Ansuchen hat die Behörde durch ihr formal unrichtiges Vorgehen verursacht.