G25/74 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Im Gesetzesprüfungsverfahren ist Prüfungsmaßstab immer die Verfassungsordnung als solche. In einem derartigen Verfahren geht es nicht darum, ob die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte eingreift, sondern darum, ob sie gegen verfassungsgesetzliche Normen verstößt. Es kommen daher auch bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 B-VG} erlassenen Bundesgesetzes über Grundsätze (oder einer bestimmten Stelle eines solchen Gesetzes) Normen grundrechtlicher Art als Prüfungsmaßstab in Betracht. Unter diesem Gesichtspunkt ist es ohne Belang, daß nach dem Kompetenztypus der Grundsatzgesetzgebung die Wirksamkeit gesetzgeberischer Maßnahmen für den Bereich der Vollziehung zweier gesetzgeberischer Akte bedarf, deren erster (das Grundsatzgesetz) nur Normen enthält, die an den Ausführungsgesetzgeber, nicht aber an die Vollziehung gerichtet sind, und deren zweiter (das Ausführungsgesetz) erst die für die Vollziehung bestimmte Rechtsgrundlage ist (vgl. Slg. 5921/1969) .
Als Prüfungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit grundsatzgesetzlicher Bestimmungen kommen lediglich solche verfassungsgesetzliche Gebote nicht in Betracht, denen ihrer Bestimmung nach nur die die Rechtsgrundlage für die Vollziehung bildende Ausführungsgesetzgebung nachkommen kann, wie z. B. - da eine Grundsatznorm den Inhalt der Ausführungsregelung nicht durch Umschreibung aller wesentlichen Merkmale bestimmt (vgl. Slg. 3649/1959) - ein Verstoß gegen das sich aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 1 B-VG} ergebende Determinierungsgebot (vgl. Slg. 6885/1972) .
§ 6 Abs. 3 und der letzte Satz im § 59 a Krankenanstaltengesetz, BGBl. 1/1957 (Fassung BGBl. 281/1974), werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
§ 6 Abs. 3 KAG enthält eine den Inhalt der Anstaltsordnung negativ abgrenzende Regelung: Es wird damit angeordnet, daß die Anstaltsordnung keine Bestimmungen enthalten darf, die die Durchführung eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs oder die Mitwirkung daran verbieten oder die Weigerung, einen solchen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder daran mitzuwirken, mit nachteiligen Folgen verbinden. Der Wortlaut der Vorschrift zeigt, daß die Bestimmungen, deren Aufnahme in die Anstaltsordnung untersagt ist, sich nicht auf die Umschreibung des Aufgabenbereiches der Anstalt, sondern auf das Verhalten des Rechtsträgers der Anstalt gegenüber an der Anstalt beschäftigten Personen beziehen. Aus § 6 Abs. 3 KAG ergibt sich nicht, daß damit der Rechtsträger der Krankenanstalt - außer bei Erlassung der Anstaltsordnung - in seiner Dispositionsbefugnis als Unternehmer weiter eingeschränkt würde, als sich aus den sonst für die Errichtung und den Betrieb der Krankenanstalt geltenden Bestimmungen ergibt. Dies wird deutlich dadurch erwiesen, wie anläßlich der Schaffung des § 6 Abs. 3 KAG die Verpflichtung zur Aufnahme von Pfleglingen " das Nehmen von Personen in Anstaltspflege ) geregelt worden ist. Es besteht nach wie vor eine Verpflichtung zur Aufnahme von Personen nur in folgendem Umfang: unabweisbare Kranke müssen von öffentlichen Krankenanstalten in Anstaltspflege genommen werden, von privaten Krankenanstalten nur, wenn diese von einer Gebietskörperschaft betrieben werden und nur unter bestimmten Voraussetzungen (§ 20 Abs. 2 und 4, § 40 Abs. 1) ; unbedingt notwendige erste ärztliche Hilfe darf in öffentlichen Krankenanstalten und in privaten Krankenanstalten niemandem verweigert werden (§ 23 Abs. 1, § 40 Abs. 1) . Der unter diese Bestimmungen fallende Rechtsträger ist also auch nach Inkrafttreten des § 6 Abs. 3 KAG nicht verpflichtet, Personen, die nicht zu den unabweisbaren Kranken gehören, und Personen, die nicht einer unbedingten notwendigen ersten ärztlichen Hilfe bedürfen, in Anstaltspflege zu nehmen. Dabei gelten gemäß § 22 Abs. 4 KAG (Fassung BGBl. 281/1974) nicht alle Schwangeren als unabweisbare Kranke, sondern nur solche," deren geistiger oder körperlicher Zustand wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung sofortige Anstaltsbehandlung erfordert, sowie jedenfalls Frauen, wenn die Entbindung unmittelbar bevorsteht ", ferner Schwangere," die auf Grund besonderer Vorschriften von einer Behörde eingewiesen werden ".
Der VfGH ist der Auffassung, daß eine gesetzliche Vorschrift über die negative Abgrenzung des Inhalts der den inneren Betrieb von Krankenanstalten regelnden Anstaltsordnungen - wie § 6 Abs. 3 KAG sie darstellt - auf Grund des Kompetenztatbestandes" Heilanstalten und Pflegeanstalten "in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 1 Z 1 B-VG} (Fassung BGBl. 444/1974) erlassen werden kann.
Die angefochtene Vorschrift des § 6 Abs. 3 KAG grenzt den Inhalt der den inneren Betrieb von Krankenanstalten regelnden Anstaltsordnung negativ ab. Eine solche Vorschrift geht über die Zuständigkeit des Bundesgrundsatzgesetzgebers nicht hinaus, denn dieser ist befugt, der Aufstellung von Grundsätzen für die Anstaltsordnung auch vorzuschreiben, welche Bestimmungen in die Anstaltsordnung nicht aufgenommen werden dürfen. Es ergibt sich aus dem Wesen des Kompetenztypus der Grundsatzgesetzgebung, daß der Landesausführungsgesetzgeber dabei an die vom Grundsatzgesetzgeber geprägten Begriffe gebunden ist (vgl. Slg. 3861/1960) .
Wie ausgeführt, ist kein Rechtsträger einer Krankenanstalt gehindert, insoweit die Aufnahme von Schwangeren zur Vornahme eines straflosen Schwangerschaftsabbruches in seiner Anstalt auszuschließen oder die Durchführung eines solchen zu untersagen, also nicht verpflichtet ist, Personen in Anstaltspflege zu nehmen. Als Rechtsträger kommen für öffentliche Krankenanstalten der Bund, ein Bundesland, eine Gemeinde, eine sonstige Körperschaft öffentlichen Rechts, eine Stiftung, ein öffentlicher Fonds, eine andere juristische Person oder eine Vereinigung von juristischen Personen (§ 15 KAG) , für private Krankenanstalten auch physische Personen (§ 39) in Betracht. Der VfGH brauchte nicht zu untersuchen, welchen dieser Rechtsträger der verfassungsgesetzliche Schutz des Art. 14, des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 9, Art. 9 MRK} und des Art. 63 Staatsvertrag St. Germain zukommt, denn bei dem dargelegten Inhalt des § 6 Abs. 3 KAG ist es ausgeschlossen, daß in die durch diese Verfassungsbestimmungen geschützten Rechte eingegriffen wird.
Die Worte" ausgenommen solche des Bundes "im § 18 Abs. 4 KAG, BGBl. 1/1957 (Fassung BGBl. 281/1974) , werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die gesetzliche Vorsorge für eine Enteignung von Grundstücken und anderen dinglichen Rechten zum Zwecke der Errichtung des Ausbaues öffentlicher Krankenanstalten ein Erfordernis des öffentlichen Wohles sein kann. Ob eine derartige Enteignung vom öffentlichen Wohl erfordert wird, ist aber eine Frage, die nicht allein nach der Person des hievon betroffenen Eigentümers beantwortet werden kann. Die Regelung des § 18 Abs. 4 KAG, die alle Grundstücke und anderen dinglichen Rechte des Bundes - undifferenziert und insbesondere auch ohne Bedachtnahme auf ihre rechtliche Bestimmung (vgl. z. B. {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 287, § 287 ABGB}) , lediglich mit Rücksicht auf die Person des Betroffenen - von der Möglichkeit der Enteignung ausnimmt, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der Landesgesetzgeber ist, wenn er von seiner Zuständigkeit zur Erlassung eines Ausführungsgesetzes Gebrauch macht, an diese vom Grundsatzgesetzgeber getroffene Regelung gebunden: Der Landesausführungsgesetzgeber darf, weil eine Ausnahme nicht ausdrücklich zugelassen ist, dem vom Bund ausgestellten Grundsatz nicht widerstreiten und darf ihn auch in seiner rechtlichen Wirkung nicht einschränken (vgl. Slg. 2087/1951, 3744/1960) . Er hat also - entgegen der Meinung der Bundesregierung - keine Möglichkeit, unter Ausnützung des ihm zur Verfügung stehenden grundsatzfreien Raumes eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen, denn selbst wenn er Eigentumsrechte anderer Gebietskörperschaften von einer Enteignungsmaßnahme ausnähme, könnte er die für Eigentumsrechte des Bundes getroffene sachfremde Ausnahme nicht ändern. Im übrigen ist zu bemerken, daß der Ausführungsgesetzgeber (als die eine am Gesetzgebungsverfahren beteiligte Autorität) seiner ihm durch die Verfassung eingeräumten freien Gestaltungsmöglichkeit in dem nicht durch Grundsätze vorgebildeten und eingeengten Bereich (vgl. Slg. 2820/1955) beraubt wäre, wenn er in diesem Bereich darauf Bedacht nehmen müßte, allfällige Verstöße gegen das Gleichheitsgebot seitens des Grundsatzgesetzgebers (als der anderen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Autorität) auszugleichen - sofern überhaupt eine solche Möglichkeit im Einzelfall bestünde.
§ 59 a KAG 1957 (Fassung BGBl. 281/1974) , wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben. Die in den §§ 57 ff. KAG (Fassung BGBl. 27/1958 und 281/1974) geregelten Zweckzuschüsse des Bundes werden den Rechtsträgern öffentlicher Krankenanstalten (§§ 57 und 58) und den Rechtsträgern der gemeinnützig geführten privaten Krankenanstalten (§ 59) geleistet. Als Empfänger kommen somit alle in den §§ 15 und 39 KAG als Rechtsträger von Krankenanstalten genannten Personen in Betracht.
Die im KAG geregelten Zweckzuschüsse des Bundes zum Betriebsabgang öffentlicher Krankenanstalten und gemeinnützig geführter privater Krankenanstalten können demnach nur insoweit als eine auf das F-VG 1948 gestützte Regelung des Finanzausgleiches angesehen werden, als der den Zweckzuschuß beanspruchende Rechtsträger der Krankenanstalt ein Land oder eine Gemeinde ist. Um solche Fälle handelte es sich in den Erk. Slg. 3736/1960 und 4818/1964, in denen der VfGH ausgeführt hat, daß die gesetzliche Verpflichtung des Bundes zur Gewährung von Zweckzuschüssen gemäß § 57 KAG öffentlichrechtlicher Natur ist und der dieser Verpflichtung entsprechende vermögensrechtliche Anspruch des Rechtsträgers gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 137, Art. 137 B-VG} beim VfGH geltend gemacht werden kann. Die Gewährung von Zweckzuschüssen des Bundes muß von den Rechtsträgern der Krankenanstalten beantragt werden; ohne einen solchen Antrag werden Zweckzuschüsse nicht gewährt. § 59 a erster Satz KAG bindet die Gewährung solcher Zweckzuschüsse an die Bedingung, daß die Krankenanstalten ein Buchführungssystem anwenden, das eine Kostenermittlung und eine Kostenstellenrechnung ermöglicht.
Die Normierung einer solchen Bedingung ist im {Finanz-Verfassungsgesetz 1948 § 13, § 13 erster Satz F-VG 1948} gedeckt, denn es handelt sich dabei um eine Bedingung, die mit dem mit der Zuschußleistung verfolgten Zweck zusammenhängt. Da als Grundlage für die Berechnung der Zweckzuschüsse des Bundes gemäß § 57 KAG der sich durch die Betriebskosten und Erhaltungskosten gegenüber den Einnahmen ergebende Betriebsabgang der Krankenanstalten zu nehmen, muß zur Sicherung einer gleichmäßigen Berechnung der Zweckzuschüsse ein für alle Empfänger solcher Zuschüsse geltendes Buchführungssystem angewendet werden. Der erforderlichen Einheitlichkeit des Buchführungssystems sind die Bestimmungen des § 59 a zweiter (letzter) Satz KAG, wonach eine bundeseinheitliche Form dieses Buchführungssystems durch Verordnung des BM für Gesundheit und Umweltschutz im Einvernehmen mit dem BM für Finanzen festzulegen ist. Dieser zweite (letzte) Satz bildet insofern eine Einheit mit dem ersten Satz des § 59 a KAG, als er dahin zu verstehen ist, daß die im ersten Satz aufgestellte Bedingung für die Gewährung von Zweckzuschüssen dann als erfüllt anzusehen ist, wenn das von der Krankenanstalt angewandte Buchführungssystem der durch Verordnung festgelegten bundeseinheitlichen Form entspricht. Soweit also der einen Zweckzuschuß des Bundes beanspruchende Rechtsträger einer Krankenanstalt ein Land oder eine Gemeinde ist, findet die Regelung des § 59 a zweiter (letzter) Satz KAG im {Finanz-Verfassungsgesetz 1948 § 13, § 13 F-VG 1948} ihre verfassungsgesetzliche Deckung.
Ist der einen Zweckzuschuß des Bundes beanspruchende Rechtsträger einer Krankenanstalt nicht ein Land oder eine Gemeinde, sondern eine andere der in den §§ 15 und 39 KAG genannten Personen, so kann die Bestimmung des § 59 a KAG nicht auf das F-VG 1948 gestützt werden; insoferne ist die in der Überschrift vor § 57 KAG enthaltene Berufung auf die §§ 12 und 13 F-VG 1948 unzutreffend. Für diese Fälle kommt als verfassungsgesetzliche Grundlage des § 59 a KAG die Kompetenzbestimmung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 4 B-VG} " Bundesfinanzen, insbesondere öffentliche Abgaben, die ausschließlich oder teilweise für den Bund einzubehalten sind ) in Betracht. Diese Kompetenzbestimmung erfaßt die Angelegenheiten der Bundesfinanzen, die nicht durch das F-VG 1948 geregelt sind. Dem Bundesgesetzgeber ist es unbenommen, die Gewährung von Zweckzuschüssen des Bundes an Bedingungen zu knüpfen, die der Empfänger solcher Zuschüsse zu erfüllen hat. Der Bundesgesetzgeber kann daher auch zur Sicherung einer gleichmäßigen Berechnung von Zweckzuschüssen der in den §§ 57 ff. KAG vorgesehenen Art die Erfüllung von Bedingungen vorsehen, wie sie in § 59 a KAG geregelt sind.