JudikaturVfGH

B299/74 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
13. Juni 1975

Durch § 17 Abs. 2 VerfGG 1953 wird die Postulationsfähigkeit einer Partei, die ihre Fähigkeit, prozessuale Willenserklärungen selbst wirksam abzugeben (vgl. Wolff, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Auflage, 1947, S. 119) nur bezüglich der in dieser Bestimmung genannten Akte beschränkt. Im übrigen können die Parteien gemäß § 24 Abs. 2 VerfGG 1953 ihre Sache vor dem VfGH selbst führen oder sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. § 17 Abs. 2 VerfGG 1953 differenziert bezüglich der dort genannten prozeßauslösenden Eingaben lediglich zwischen einerseits den im § 24 Abs. 1 genannten Gebietskörperschaften, den Behörden dieser Gebietskörperschaften und den von Organen dieser Körperschaften verwalteten Stiftungen, Fonds und Anstalten, anderseits allen anderen Personen. Diese Differenzierung ist nicht unsachlich, geht es doch um die Gewährleistung, daß die beim VfGH einzubringenden Anträge formal und inhaltlich eine geeignete Grundlage für die Einleitung eines Verfahrens durch den VfGH zu bilden vermögen. Die von der allgemein vorgeschriebenen Einbringung von Anträgen durch einen Rechtsanwalt im § 24 Abs. 1 VerfGG 1953 gemachte Ausnahme ist sachlich gerechtfertigt, denn bei den dort zur Einbringung ermächtigten Organen kann infolge ihrer beruflichen Vertrautheit mit den vor den VfGH zu bringenden Angelegenheiten die Eignung hiezu allgemein angenommen werden. Wenn der Gesetzgeber eine solche Ausnahme für andere Personengruppen nicht vorsieht, befindet er sich mit einer solchen Regelung im Rahmen rechtspolitischer Überlegungen, die selbst nicht am Gleichheitssatz gemessen werden können und nicht der Kontrolle durch den VfGH unterliegen (vgl. z. B. Slg. 6191/1970, 6621/1971) . Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Einrichtung der Verfahrenshilfe (§§ 63 ff. ZPO i. d. F. des Verfahrenshilfegesetzes, BGBl. 569/1973 in Verbindung mit § 35 VerfGG 1953) niemanden von der Einbringung von Anträgen an den VfGH, soweit diese nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheinen, ausschließt, und daß außerdem jede Partei im übrigen ihre Sache vor dem VfGH selbst führen kann. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß für das Verfahren vor dem VwGH, der andere Aufgaben hat als der VfGH, im {Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - ÜR § 24, § 24 Abs. 2 VwGG} eine andere Regelung getroffen worden ist. Diese Regelung selbst ist nicht Voraussetzung für die vom VfGH über die vorliegenden Beschwerden zu treffende Entscheidung, so daß auf die Sachlichkeit dieser Regelung nicht eingegangen werden kann. Es bestehen somit gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 2 VerfGG 1953 unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgebotes keine Bedenken.

Es wird noch darauf hingewiesen, daß der VfGH im Beschluß Slg. 7058/1973 zu der im damaligen Verfahren aufgestellten Behauptung, "daß die Rechtsanwaltspflicht gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten (Verfassungsrecht) verstößt" , folgendes ausgeführt hat: "Der Gerichtshof sieht sich durch das Vorbringen in der Beschwerde nicht veranlaßt, in eine Prüfung der Bestimmung des § 17 Abs. 2 VerfGG 1953 einzutreten, da keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieser Norm entstanden sind. Infolge der Möglichkeit eines Antrages auf Gewährung des Armenrechtes greift diese Bestimmung insbesondere nicht in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein gerechtes Verfahren (fair trial) gemäß {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 MRK} und auch nicht in das gemäß Art. 5 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums ein." Diese Rechtsauffassung ist in dem Beschluß B 195/74 vom 28. September 1974 wiederholt worden.

Der Antrag auf Verlängerung einer Frist zur Behebung des (in der Nichteinbringung der Beschwerden durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bestehenden) Formmangels gesetzten Frist ist abzuweisen, wenn dieser Antrag erst nach Ablauf der gesetzlichen Fristen gestellt worden ist, weil die Verlängerung einer schon abgelaufenen Frist nicht möglich ist.

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