JudikaturVfGH

B205/74 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
06. März 1975

Die Begriffe "Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes" ({Disziplinarstatut 1990 § 2, § 2 DSt}) haben einen Inhalt, der aus den allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen und den gefestigten Gewohnheiten des Rechtsanwaltsstandes festgestellt werden kann (vgl. Slg. 3290/1957 und insbesondere 4886/1964) .

Nach § 55 d des Disziplinarstatutes verhandelt und entscheidet die OBDK in Senaten, die aus zwei Richtern und zwei Anwaltsrichtern bestehen und die vom Präsidenten der OBDK zusammengesetzt werden.

Wenn nun der nachfolgende § 55 e das Ablehnungsrecht nicht auf die Mitglieder des einzelnen Senates, sondern auf die Mitglieder der OBDK bezieht, so entsprach die Vorgangsweise der bel. Beh. dem Gesetz. Dem Beschuldigten wurde die Liste aller Mitglieder der OBDK noch vor der Zusammensetzung des Senates bekanntgegeben. Dadurch wird sichergestellt, daß dem Senat nur Mitglieder angehören, die nicht von der Ablehnung bedroht sind. Die Bekanntgabe der Liste der Mitglieder der OBDK impliziert somit die Bekanntgabe der Zusammensetzung des erkennenden Senates, von der in den Erk. Slg. 3406/1958 und 7037/1973 die Rede ist.

Der Umstand, daß dem Senat als Anwaltsrichter nicht ein Mitglied der Rechtsanwaltskammer der Kammer des Beschuldigten angehörte, belastet die Zusammensetzung dieses Senates nicht mit Gesetzwidrigkeit. Gemäß § 55 d Abs. 2 des Disziplinarstatutes sind den Senaten nämlich nur soweit als möglich die Anwaltsrichter beizuziehen, die von der Kammer gewählt wurden, der der Beschuldigte angehört. Im übrigen konnte mit Rücksicht darauf, daß die Rechtsanwaltskammer des Beschuldigten gemäß § 55 b DSt nur einen Anwaltsrichter wählt, nicht zwei Angehörige dieser Kammer beigezogen werden.

Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat in ihrer Entscheidung vom 5. Feber 1971 Requete Nr. 4040/69 (Recueil 37, Seite 27) ausgesprochen, daß die Garantien des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 7, Art. 7 MRK} auf Disziplinarverfahren nicht anzuwenden sind. Der VfGH schließt sich dieser Rechtsauffassung an.

Selbst wenn das von der bel. Beh. disziplinär geahndete Verhalten des Bf. (der Angriff auf die Ehre des Anzeigers und die Denunziation des Anzeigers bei dessen Dienstgeber) eine Meinungsäußerung darstellen sollte, wäre eine solche Äußerung zu Recht durch die Bestimmungen des § 10 Abs. 2 der Rechtsanwaltsordnung RGBl. 96/1886 i. d. F. StGBl. 95/1919, (wonach ein Rechtsanwalt in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren hat) und des {Disziplinarstatut 1990 § 2, § 2 DSt} (wonach eine Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes der Disziplinarbehandlung unterliegt) beschränkt, weil sowohl Art. 13 StGG als auch {Europäische Menschenrechtskonvention Art 10, Art. 10 MRK} einen entsprechenden Gesetzesvorbehalt enthält.

Die Selbstverwaltung im Bereich der beruflichen Vertretungen der Rechtsanwälte ist nicht - wie etwa die Selbstverwaltung der Gemeinden - verfassungsgesetzlich verankert. Es ist daher auch die Einräumung eines Instanzenzuges von Organen der Selbstverwaltung an Organe der staatlichen Verwaltung verfassungsgesetzlich nicht ausgeschlossen; es bedarf hiezu nur einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung (vgl. Erk. Slg. 6811/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur) . Wie der VfGH schon in seinem Erk. Slg. 7262/1974 dargelegt hat, ist es dem Bundesgesetzgeber durch keine Verfassungsnorm untersagt, von der aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 133, Art. 133 Z 4 B-VG} erfließenden Ermächtigung zur Einrichtung weisungsfreier Kollegialbehörden im Bereich des Disziplinarrechtes der Rechtsanwälte Gebrauch zu machen und demnach die in dieser Verfassungsvorschrift vorgesehene Mitwirkung von Berufsrichtern festzulegen.

Die durch Art. 14 StGG gewährleistete volle Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit bezieht sich nur auf religiöse Fragen (vgl. Slg. 1207/1929, 3480/1958, 4697/1964) .

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