JudikaturVfGH

G15/74 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
19. Dezember 1974

§ 28 Schulpflichtgesetz, BGBl. 241/1962, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

In Vorarlberg bestand seit 1929 verfassungsrechtlich einwandfrei eine Schulpflicht der Mädchen zum Besuch hauswirtschaftlicher Fortbildungsschulen (später: Berufsschulen) . Der durch die B-VGNov. BGBl. 215/1962 in Abweichung von der bisherigen Kompetenzrechtslage mit der Regelung der Schulpflicht allein betraute Bundesgesetzgeber ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 14, Art. 14 Abs. 1 B-VG}) fand somit in Vorarlberg auf dem Gebiete des Berufsschulwesens andere Verhältnisse vor als in anderen Bundesländern. Der VfGH ist nun der Meinung, daß Art. 7 dem erst durch eine Kompetenzänderung zur ausschließlichen Regelung der Materie zuständig gewordenen Bundesgesetzgeber zwar verbietet, allein durch die seinerzeitige Kompetenzrechtslage bedingte länderweise unterschiedliche Entwicklungen in Hinkunft hintanzuhalten, ihn jedoch nicht dazu zwingt, die durch die bisherige Entwicklung geschaffenen Unterschiede sofort zu beseitigen. Die Bedachtnahme auf solche ausschließlich historisch bedingte Sachverhältnisse in einem Bundesland bedeutet nämlich innerhalb eines angemessenen, von vornherein regelmäßig gar nicht genau bestimmbaren Zeitraumes eine Anknüpfung an Unterschiede im Tatsächlichen, die in Ansehung des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes unbedenklich ist.

Besonders im Hinblick auf die hier in Rede stehende Kompetenzänderung vermag sich diese Auffassung auch auf Art. VII Abs. 2 lit. a B-VGNov., BGBl. 215/1962, zu stützen. Die Anordnung, daß das nach § 42 Übergangsgesetz 1920 nur für ein Bundesland ergangene Bundesgesetz durch die verfügte Kompetenzänderung nicht berührt wird, wäre unverständlich, wenn dieses nach den Intentionen des Verfassungsgesetzgebers schon deswegen als mit dem Gleichheitsgebot in Widerspruch stehend qualifiziert werden sollte, weil es eine Sonderregelung für ein Bundesland trifft. Die in Prüfung gezogene, unter der Überschrift "Übergangsbestimmungen" getroffene Regelung gilt nur "bis zu einer anderweitigen Regelung durch Bundesgesetz" .

Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß er die in Ansehung der Berufsschulpflicht bestehende unterschiedliche Rechtslage in Vorarlberg einerseits in den übrigen Bundesländern, anderseits - jedenfalls soweit sie bloß historisch bedingt ist - nicht auf Dauer aufrechterhalten will. Daß er nicht gleichzeitig auch einen Zeitpunkt für die Vereinheitlichung der Rechtslage festgesetzt hat, entkleidet diese Regelung deswegen nicht ihrer Eigenschaft als Übergangsbestimmung, weil eine solche Festlegung von Entwicklungen abhängt, die im einzelnen nicht vorhersehbar sind. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende von dem dem Erk. Slg. 4046/1961 zugrunde liegenden Sachverhalt.

Gemäß {Schulorganisationsgesetz § 129, § 129 Abs. 2 Schulorganisationsgesetz}, BGBl. 242/1962, hat die hauswirtschaftliche Berufsschule die Aufgabe, Mädchen, die zu ihrem Besuch verpflichtet sind oder sie freiwillig besuchen, in die hauswirtschaftliche Tätigkeit einzuführen und die erworbene Allgemeinbildung zu festigen. Die Vlbg. Landesregierung hält diese Regelung deswegen für erforderlich, weil ohne sie die Zahl der Frauen, die lediglich über eine allgemeine Pflichtschulbildung verfügen, ungleich höher wäre als die entsprechende Zahl bei den Männern; sie hat dafür statistische Unterlagen vorgelegt, an deren Richtigkeit keine Zweifel entstanden sind. Der VfGH verkennt nicht den bedeutsamen Wandel der Stellung der Geschlechter in der Gesellschaft, der überkommene Vorstellungen von geschlechtsspezifischen Aufgaben in zunehmendem Maße in Frage stellt.

Dessenungeachtet aber ist die hauswirtschaftliche Tätigkeit eine Aufgabe, die auch heute noch überwiegend von Frauen ausgeübt wird.

Wenn daher der Gesetzgeber zum Zwecke der Erhöhung des Bildungsangebotes für Mädchen den Besuch einer Schule, die nach ihrer Zielsetzung auch zur Einführung in hauswirtschaftliche Tätigkeit bestimmt ist, nicht alle, sondern nur weibliche Jugendliche verpflichtet, so ist das in Ansehung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 7, Art. 7 B-VG} unbedenklich.

Rückverweise