B228/74 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Bei staatsvertraglichen Regelungen, die der Abgrenzung von gleichartigen Leistungsansprüchen, die gegen jeden der Vertragsstaaten erhoben werden können, und der Vermeidung von Doppelleistungen dienen, ist es unvermeidlich, daß auf die Rechtslage der Vertragsstaaten Bezug genommen wird. Im Art. 32 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit, BGBl. 382/1969, geschieht dies in der Weise, daß bezüglich der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen auch die Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates und für die Gewährung der Familienbeihilfe ausschließlich die Rechtsvorschriften des Staates des gewöhnlichen Aufenthaltes, also gegebenenfalls jene des anderen Vertragsstaates für maßgebend erklärt werden. Die vom Bf. vertretene Ansicht, daß Art. 32 Abs. 4 des Abkommens mangels Kundmachung der maßgebenden ausländischen Rechtsvorschriften im österreichischen Bundesgesetzblatt verfassungswidrig sei, unterstellt nun, daß im Fall einer solchen Bezugnahme auf ausländische Rechtsvorschriften diese vom Standpunkt der österreichischen Verfassungsrechtsordnung mit demselben Maßstab gemessen werden müssen, die für österreichische Rechtsvorschriften gelten. Dies trifft aber nicht zu, weil die ausländischen Rechtsvorschriften in der Regelung des Art. 32. Abs. 4 des Abkommens nur die Bedeutung eines Sachverhaltselementes haben.
Wenn die Kundmachung der entsprechenden Rechtsvorschriften in dem Staat, mit dem Österreich die staatsvertragliche Regelung vereinbart hat, in einer Weise erfolgt, die dem allgemeinen Erfordernis einer gehörigen Kundmachung entspricht, ist dagegen keinesfalls etwas einzuwenden. Dies trifft hier zu, weil das Bundeskindergeldgesetz im deutschen Bundesgesetzblatt kundgemacht worden ist (BGBl. 1964, Teil I, S. 265 ff.) .
Auch sonst keine Bedenken gegen Art. 32 Abs. 4 dieses Abkommens. Es ist offenkundig, daß die Lebensverhältnisse in jedem Staat unterschiedlich sind und daß daher auch die Rechtsvorschriften über die Familienbeihilfe unterschiedlich gestaltet sind. Es ist nicht unsachlich, wenn in der staatsvertraglichen Regelung vereinbart wird, daß jener Staat die Familienbeihilfe nach seinen eigenen Rechtsvorschriften zu gewähren hat, in dessen wirtschaftlichem Gefüge das Kind dadurch eingegliedert ist, daß es sich in diesem Staat gewöhnlich aufhält. Daran ändert auch die Regelung des § 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 nichts. Danach haben Personen keinen Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Familienbeihilfe haben; österreichische Staatsbürger erhalten aber eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach dem Familienlastenausgleich ansonsten zu gewähren wäre. Auch diese Regelung ist nicht unsachlich. Die beiden Vorschriften regeln aber Verschiedenes. In Art. 32. Abs. 4 des Abkommens wird geregelt, welcher der beiden Vertragsstaaten nach seinen Rechtsvorschriften ausschließlich Familienbeihilfe zu gewähren hat. § 4 FLAG 1967 betrifft aber den Fall, daß eine Person, die die österreichischen und die ausländischen Voraussetzungen für den Bezug einer Familienbeihilfe erfüllt, Anspruch auf eine österreichische Ausgleichszulage hat, wenn die ausländische Beihilfe geringer ist als die österreichische Familienbeihilfe.