JudikaturVfGH

B339/73 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
12. März 1974

Das Verfahren vor der Gemeinde in Mietangelegenheiten dient der Entlastung der Gerichte. Es handelt sich dabei um die Verweisung einer bürgerlichen Rechtssache an eine Verwaltungsbehörde i. S. des {Jurisdiktionsnorm § 1, § 1 JN}. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des AVG 1950 ( § 36 Abs. 3 Mietengesetz) . Die Zuständigkeit der Gerichte wird durch diese Regelung jedoch nur insoweit durch eine verwaltungsbehördliche Zuständigkeit ersetzt, als sich die Parteien mit der Entscheidung der Gemeinde zufriedengeben. Jede Partei kann binnen 14 Tagen nach der Entscheidung der Gemeinde oder wenn das Verfahren vor der Gemeinde nicht binnen vier Wochen zum Abschluß gelangt ist, die Sache durch Anrufung des Gerichtes bei diesem anhängig machen, wodurch eine schon getroffene Entscheidung der Gemeinde außer Kraft tritt bzw. das Verfahren von der Gemeinde einzustellen ist (§ 37 Abs. 1 und 2 MietenG) . Nach der vom Gesetz getroffenen Regelung handelt es sich bei dem Verfahren vor der Gemeinde und dem Verfahren vor dem Gericht um zwei völlig getrennte Verfahrensbereiche. Die Begründung der Zuständigkeit des Gerichtes beendet das Verfahren vor der Gemeinde und setzt ein völlig neues Verfahren in Gang (vgl. OGH vom 4. Juli 1956 Ob 302, EvBl. 352/1956) . Lediglich in dem im § 37 Abs. 1 geregelten Fall, daß der Antrag auf Entscheidung des Gerichtes zurückgezogen wird, verliert das Gericht seine Zuständigkeit und tritt die Entscheidung der Gemeinde wieder in Kraft.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich eines Verfahrens im Verwaltungsbereich der Gemeinde ist nur so lange möglich, als nicht die Sache bei Gericht anhängig ist. Eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde über einen Wiedereinsetzungsantrag bezüglich eines nicht mehr im Verwaltungsbereich anhängigen Verfahrens ist begrifflich ausgeschlossen. Dies zeigt deutlich ein Hinweis auf die Rechtsfolgen, die eintreten müßten, wenn der Antrag bewilligt würde.

Gemäß § 72 Abs. 1 AVG 1950 tritt durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat. Zu einem solchen Zurücktritt des Verfahrens ist aber überhaupt kein Raum, wenn ein Verfahren nicht mehr im Verwaltungsbereich anhängig ist. Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung im Verfahrensbereich der Gemeinde ist gemäß § 71 Abs. 4 AVG 1950 die Gemeinde berufen. Bei der Zurückweisung eines solchen Antrages handelt es sich um einen verfahrensrechtlichen Bescheid. Solche Bescheide, die formell ihre gesetzliche Grundlage aus dem AVG 1950 schöpfen, unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH und des VfGH hinsichtlich des Instanzenzuges grundsätzlich denselben Vorschriften, die für den Instanzenzug in der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Verwaltungsangelegenheit maßgebend sind.

Gemäß § 36 Abs. 4 MietenG kann die Entscheidung der Gemeinde in Mietangelegenheiten durch kein Rechtsmittel angefochten werden (vgl. hiezu Slg. 6027/1969) . Es ist daher auch gegen eine Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Gegen einen diesbezüglichen Bescheid kann daher unmittelbar der VfGH angerufen werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen worden. In der Begründung des Bescheides ist ausgeführt, daß dem Antrag nicht stattgegeben werden konnte, weil die im § 71 Abs. 2 AVG 1950 normierte einwöchige Frist zur Stellung des Antrages nicht gewahrt worden ist.

Da Spruch und Begründung eines Bescheides eine Einheit bilden, (vgl. Slg. 6764/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur) , ist der Spruch des Bescheides also dahin zu verstehen, daß die Zurückweisung des Antrages eine Entscheidung über die Versäumung der Antragsfrist impliziert. "Sache" des angefochtenen Bescheides ist somit eine verfahrensrechtliche, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand des Verfahrens vor der Gemeinde betreffende Frage. Derartige Entscheidungen können nicht gemäß § 37 Abs. 1 bei Gerichten anhängig gemacht werden. Dies ist auch die allein verfassungskonforme Auslegung, die im Zweifel Platz zu greifen hätte (vgl. Slg. 6610/1971 und 6672/1972 und die dort angeführte Vorjudikatur) .

Andernfalls hätte das Gericht im Widerspruch zu {Bundes-Verfassungsgesetz Art 94, Art. 94 B-VG} über eine verfahrensrechtliche Frage des verwaltungsbehördlichen Verfahrens vor der Gemeinde zu entscheiden (vgl. Slg. 2778/1954) .

Die Mietangelegenheit, auf die sich der mit diesem Bescheid zurückgewiesene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezieht, ist am Tage der Erlassung des Bescheides nicht mehr bei der Gemeinde anhängig gewesen, weil schon vorher die Entscheidung des Bezirksgerichtes begehrt worden ist. Der angefochtene Bescheid enthält, obwohl er auf Zurückweisung lautet, insofern eine Sachentscheidung, als er über die Versäumung der Antragsfrist abspricht. Hiezu war das Magistratische Bezirksamt nicht mehr befugt.

In einem Verfahren, das sich in der im MietenG geregelten Art in getrennten Verfahrensabschnitten vor Verwaltungsbehörden und Gerichten abwickelt, ist die scharfe Trennung der Zuständigkeit von besonderer Bedeutung. Es darf nicht übersehen werden, daß die Entscheidungen der Gemeinde zwar nach Anrufung des Gerichtes keinerlei Rechtswirkungen mehr besitzen, daß sie aber gemäß § 37 Abs. 1 MietenG wieder rechtswirksam werden, wenn der Antrag auf Entscheidung des Gerichtes zurückgezogen wird. Die Parteien des Verfahrens haben daher einen Rechtsanspruch darauf, daß das Verfahren in den Stand zurücktreten kann, in dem es sich im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichtes befunden hat.

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